Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Die GWN vor neuen Herausforderungen
Seit einem Jahr trägt Guido Severin als Geschäftsführer Verantwortung für die Gemeinnützigen Werkstätten. In denen macht er einige Baustellen aus, sieht aber auch neue Chancen, Partner in der Wirtschaft zu finden.
NEUSS Digitalisierung, Automatisierung und Social Media: Die Herausforderungen, vor die Guido Severin die Gemeinnützigen Werkstätten Neuss (GWN) gestellt sieht, sind auch in vielen anderen Firmen akute Baustellen. Darin unterscheiden sich die 1972 gegründeten Werkstätten ebenso wenig von anderen Unternehmen wie bei der Frage, wie Fachpersonal gewonnen und gehalten werden kann. Trotzdem rückt der Geschäftsführer nicht von der Überzeugung ab, dass die GWN eine ganz besondere Firma sind. Und der studierte Betriebswirt ist froh, dass er vor einem Jahr den Wechsel aus der Krankenhaussparte zur GWN gewagt hat.
Als der heute 48-jährige Westfale im März 2022 an der Hammer Brücke die Verantwortung übernahm, fand er ein Sozialunternehmen vor, das sein Vorgänger Christoph Schnitzler, der 30 Jahre auf der „Kommandobrücke“war, gut aufgestellt hatte. 880 Menschen mit einer mehr oder weniger großen körperlichen, geistigen oder psychischen Beeinträchtigung arbeiten dort. Ihnen ein Arbeitsangebot und gleichermaßen Rehabilitation und Förderung anzubieten, bleibt Wesenskern der GWN. „Unseren Versorgungsauftrag wollen wir zu mehr als 100 Prozent erfüllen“, sagt Severin. Aber dazu muss der Rahmen immer wieder neu justiert werden.
Aktuell gehört dazu auch das Projekt „Immobilienstrategie“. Angestoßen wurde es, als klar war, dass die Neubaupläne für die Betriebsstätte „Am Krausenbaum“– obwohl der Bauantrag schon gestellt ist – aufgrund der Kostensituation vorerst auf Null gesetzt werden müssen. Nun geht es darum zu schauen, ob die Arbeitsangebote auf die derzeit fünf Betriebsstätten neu verteilt werden müssen. Dazu seien standortbezogen Projektgruppen gebildet worden, sagt Severin, der „alle mitnehmen will“. An der dezentralen Aufstellung der GWN aber wird er nicht rühren. „Man kann diese Arbeit nicht zentral führen“, sagt er.
Seite an Seite mit den Mitarbeitern mit einer Behinderung arbeiten 190 Beschäftigte ohne Handicap. Die Fluktuation unter ihnen sei gering, sagt Severin, trotzdem drückt ihn das Thema Fachkräftemangel in zweifacher Hinsicht. Einmal, weil mit der anstehenden Verrentung der „Babyboomer-Generation“auch bei den GWN viel fachliche Expertise verloren zu gehen droht. Die Frage sei, so Severin, wie man den Wissenstransfer sicherstellt. Hinzu kommt, dass die Lücke zwischen offenen Stellen und Bewerbern immer größer wird und gerade Stellen in der Heilpädagogischen Arbeit immer schwieriger zu besetzen sind.
Unternehmen Die GWN wurde 1972 gegründet. Neben dem Hauptsitz an der Hammer Brücke gibt es vier weitere Betriebsstätten. Produkte Die GWN bieten Leistungen in den Bereichen Schreinerei, Gärtnerei, Elektro- und Industriemontage, Aktenvernichtung, Buchbinderei, Verpackung oder Versand an. Besonders publikumswirksam ist die Arbeit der Gärtnerei am Leuchtenhof, der mit dekorativen
Die Möglichkeit, über Vergütungsmöglichkeiten Anreize zu schaffen, seien sehr begrenzt, sagt Severin. Deshalb wird gerade an einem Paket betrieblicher Vergünstigungen gearbeitet, das neben einer Zusatzversorgung auch kostenlose Fitnessangebote umfassen könnte.
Moosbildern (Info: moosart@gwnneuss.d) gerade ein eigenes Produkt marktreif entwickelt und im November nach jahrelanger Pause wieder einen Adventsmarkt auf der Morgensternsheide veranstaltet. Partner Die GWN sind nicht nur Auftragnehmer von Neusser Firmen, sondern auch Partner. Aktuell redet die GWN-Geschäftsführung mit der Firma Meisinger, einem Hersteller medizintechnischer Produkte, über die Einrichtung einer Betriebsintegrierten GWN-Arbeitsgruppe an der Hansemannstraße.
Zur Mitarbeiter-Akquise gehört auch, dass die GWN „sichtbarer“werden und die Marke auch im Bereich Social Media bekannter wird. Dazu sind Ideen in Vorbereitung, die über einen neuen Internet-Auftritt hinausgehen. Teil der Strategie ist ferner, am Hofcafé des Kinderbauernhofs,
das von den GWN bewirtschaftet wird, deutlich mehr Veranstaltungen zu machen. Dazu braucht man ehrenamtliche Helfer, sagt Severin, andererseits können diese auch so vielleicht für ein dauerhafteres Engagement bei den GWN interessiert werden. „Jeder einzelne wäre ein enormer Zugewinn“, so der Geschäftsführer.
Digitalisierung und Automatisierung sind weitere Herausforderungen, die aber den rehabilitativen Gedanken nicht in den Hintergrund rücken dürften, sagt Severin. Gleichwohl sind die GWN ein Unternehmen, das sich am Markt behaupten muss. Dabei helfen ein Qualitätsversprechen, das aktuell durch eine Dekra-Zertifizierung untermauert und nachprüfbar wurde, sowie der Fachkräftemangel in vielen Branchen. Der werde dazu führen, sagt Severin, dass immer mehr Firmen Interesse an einer verlässlichen Zusammenarbeit mit den Werkstätten entwickeln werden.