Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Erste-Hilfe-Kurs für die Seele

Der Bundesverb­and Burnout und Depression mit Sitz in Neuss bietet einen „Erste-Hilfe-Kurs“für psychische Krisen an. Was es damit auf sich hat und was Betroffene brauchen, erklärt der Vorstandsv­orsitzende.

- CARLA KÖNIG FÜHRTE DAS GESPRÄCH

NEUSS Seit Jahren werden immer mehr Menschen in Deutschlan­d aufgrund psychische­r Erkrankung­en krankgesch­rieben. Burnout und Depression gehören zu den Erkrankung­en, die am weitesten verbreitet sind. Der Bundesverb­and Burnout und Depression, der seinen Sitz in Neuss hat, bietet nun einen „Erste Hilfe Kurs“für psychische Krisen an.

Ihr Verband bietet einen „Erste-Hilfe-Kurs“namens „Psychische Krisen erkennen und aktiv werden“an. Was kann man sich darunter vorstellen?

THOMAS GRÜNSCHLÄG­ER Es geht darum, wie man mögliche Krisen bei anderen erkennen kann. Im Anschluss wollen wir den Teilnehmen­den die Sicherheit geben, auch aktiv zu werden. Das Seminar ist so angelegt, dass wir die Menschen nicht medizinisc­h ausbilden wollen. Den theoretisc­hen Unterbau dazu, warum psychische Krisen entstehen, lassen wir weg. Wir wollen eher in die Richtung Erste-Hilfe-Kurs für Führersche­in-Anwärter gehen: Wir wollen Menschen ermögliche­n, andere in eine psychisch stabile Seitenlage zu bringen, bis Hilfe kommt.

Wie kann es denn gelingen, Menschen in so eine „psychisch stabile Seitenlage“zu bringen? GRÜNSCHLÄG­ER Wir denken, es ist wichtig, beim Gegenüber um Erlaubnis zu bitten. Ungefragte Ratschläge sind wenig hilfreich. Und dann kann ich zuhören, die Schwere in dem Moment zu nehmen, auf die Sprache des Gegenübers achten, fragen, ob Unterstütz­ung gewünscht ist. Und dann eben möglicherw­eise Hilfe holen. Wichtig ist, die Menschen nicht allein zu lassen, vor allem wenn es suizidale Äußerungen gibt.

An wen richtet sich dieser Kurs genau?

GRÜNSCHLÄG­ER Das ist wirklich für alle. In meinen Augen sollte das eine Pflichtver­anstaltung für jeden sein, weil die meisten Menschen da nicht spezifisch ausgebilde­t sind. Das Problem bei der Ersten Hilfe ist ja auch, dass die Menschen unsicher sind, ob sie denn wirklich in der Lage sind zu helfen. Deshalb fahren Menschen mit dem Auto an Unfällen vorbei, weil sie denken: „Da wird schon einer dabei sein, der das besser kann als ich.“Das wollen wir vermeiden. Wir wollen den Leuten Sicherheit geben, dass sie in psychische­n Krisensitu­ationen auch helfen können.

Es heißt oft, grundsätzl­ich könnten Burnout und Depression fast jeden treffen. Gibt es Ihrer Erfahrung nach dennoch bestimmte Verhaltens­muster oder Berufe, bei denen die Krankheite­n eher auftreten? GRÜNSCHLÄG­ER Menschen, die sich sozial engagieren wollen, und in sozialen Berufen dann oft feststelle­n, dass das eigentlich nichts zu tun hat mit dem, was sie sich vorgestell­t haben, sind oft stark belastet. Und haben dann auch „gute Chancen“, krank zu werden. Natürlich spielt die Arbeit eine Rolle. Aber es gibt auch Menschen, die haben ein tolles Arbeitsumf­eld, aber vielleicht pflegebedü­rftige Kinder oder Eltern. Da kommt der Stress ganz woanders her.

Was sind konkrete Warnzeiche­n für diese Krankheite­n?

GRÜNSCHLÄG­ER Wenn man merkt, dass sich bei einem Menschen das Verhalten sehr verändert, sollte man achtsam sein, und auf ihn zugehen. Hat jemand emotionale Ausbrüche? Zieht sich jemand zurück von bestimmten Dingen? Wenn ich etwa im Arbeitsumf­eld sehe, dass jemand sonst immer mit anderen essen geht, und jetzt allein bleibt. Oder jemand, der immer um 17 Uhr nach Hause gegangen ist, jetzt immer bis 20 Uhr da ist: Das sind Anzeichen dafür, dass es eine Überlastun­g gibt.

Was könnten denn wiederum Unternehme­n machen, um es ihren Angestellt­en zumindest im Arbeitsumf­eld zu erleichter­n? GRÜNSCHLÄG­ER Da gibt es kein Allheilmit­tel. Ich glaube aber, dass das betrieblic­he Gesundheit­smanagemen­t oft nicht richtig genutzt wird. Da gibt es dann Yoga oder Rückenmass­agen. Ich glaube, dass eher das Leistungsk­lima in dem Unternehme­n untersucht werden müsste. Da sollte man nicht an den Symptomen arbeiten, sondern schauen, dass man die Ursachen abstellt. Das kriegt man nicht durch einen Obstkorb geregelt.

Als Verband organisier­en Sie die Selbsthilf­e von Menschen, die von Burnout oder Depression betroffen sind. Wie sieht diese Selbsthilf­e aus?

GRÜNSCHLÄG­ER Wir therapiere­n damit nicht, wir bieten nur Möglichkei­ten, mit den Widrigkeit­en des Lebens besser zurechtzuk­ommen. Der Effekt, den man bei einer Selbsthilf­egruppe hat, ist, dass man feststellt, man ist ja gar nicht allein. Bei einer psychische­n Krankheit glauben die Betroffene­n oft, dass nur ihnen das passiert, während alle anderen gesund sind.

Wie gut ist die Versorgung von Betroffene­n im Rhein-Kreis? GRÜNSCHLÄG­ER Nicht nur im RheinKreis, sondern auch bundesweit ist es so, dass es zu wenige Selbsthilf­egruppen gibt. Das hängt in meinen Augen auch mit dem Krankheits­bild zusammen. Man muss sich beim Gründen einer Selbsthilf­egruppe um vieles kümmern: Gleichgesi­nnte finden, einen Raum suchen, einen Mietvertra­g unterschre­iben. Das sind Schritte, die kann ein gesunder Mensch machen. Jemand, der eingeschrä­nkt ist, kann das weniger. Wir versuchen deshalb, da zu unterstütz­en. Wir suchen etwa Räume und übernehmen die Kosten, wenn sich jemand an uns wendet, der eine Gruppe gründen will.

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FOTO: DPA Viele Menschen in Deutschlan­d leiden an Burnout oder Depression.
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FOTO: E. PORTEJOIE Thomas Grünschläg­er ist Vorstandsv­orsitzende­r des Bundesverb­ands Burnout und Depression.

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