Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Bürgermeister und Politiker kritisieren Verein gegen „Ghettos“
Die Bezeichnung Ghettos sehen die Politiker verknüpft mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. Die Initiative wehrt sich.
GREVENBROICH (-sta/cka) Bürgermeister Klaus Krützen und der Grevenbroicher Bundestagsabgeordnete Daniel Rinkert (beide SPD) üben in einem gemeinsamen Brief an unsere Redaktion Kritik an dem nicht eingetragenen Verein „Grevenbroicher gegen Ghettos“. In der politischen Auseinandersetzung gehöre Zuspitzung zwar dazu. „Man kann aber auch überdrehen“, schreiben sie: Wenn eine Initiative diesen Namen wählt, sei genau das passiert.
Die Initiative wende sich gegen drei Standorte, an denen geflüchtete Menschen untergebracht werden sollen. Die Mitglieder „suggerieren, dort würden Ghettos entstehen, nur weil dort viele Menschen untergebracht werden sollen“, heißt es in dem Brief unter anderem. Krützen und Rinkert beziehen sich auf die Gräueltaten der Nationalsozialisten: „Ghettos waren Orte der sozialen und wirtschaftlichen Ausgrenzung, der gezielten Diskriminierung und der Inhaftierung. In der schärfsten Ausprägung dienten sie als Sammelpunkt vor der Deportation und gezielten Ermordung.“
Wer die Gleichsetzung von Ghettos mit betreibt, verharmlose auf erschreckende Weise die Vergangenheit, meinen Krützen und Rinkert: „Die Initiative fühlt sich rechtlich gut beraten. Sie sollte sich vielleicht auch einmal von Historikern beraten lassen.“Zu den von dem Verein eingereichten Bürgerbegehren schreiben die Politiker: „Wenn es der Initiative tatsächlich nur darum gehen würde, die Unterbringung von geflüchteten Menschen qualitativ besser zu organisieren, könnte sie sich auch mit einem positiv formulierten Begehren an den Rat wenden. Stattdessen beschränkt sie sich auf die Ablehnung von drei Standorten in der Nachbarschaft der drei Initiatoren.“An mehreren Stellen im Stadtgebiet seien teilweise noch mehr Menschen in Wohnmodulen oder Zelten untergebracht.
Bianca Frohnert vom Verein, die auch die Bürgerbegehren mit unterzeichnet hat, wehrt sich. „Uns liegt es völlig fern, etwas zu verharmlosen. Die Begriffe ,Ghetto’ und ,Ghettoisierung’ werden heute unterschiedlich verwendet – so auch als Umschreibung einer starken Verdichtung von Minderheiten in einem Stadtviertel, so dass eine vollständige Integration ausscheidet. Genau das rügen wir.“
Historisch betrachtet sei die Bezeichnung der angesprochenen Sammelpunkte durch die Nazis als „Ghetto“eine bewusste Verharmlosung der NS-Propaganda gewesen. „Es ist völlig klar, dass wir hierauf nicht abstellen“, betont Frohnert: „Weil unsere Argumente nicht entkräftet werden können und wir auch persönlich kein Klischee bedienen, greift man uns nun mit einem offensichtlich verfehlten historischen Vergleich an.“
Zwischenzeitlich hat es ein weiteres Treffen des Vereins in der Halle Drees in Wevelinghoven gegeben, wo sich circa 40 Mitglieder und Interessierte versammelten. Die Initiatoren gehen davon aus, dass ihre beiden Bürgerbegehren zugelassen werden. Dann müssten wohl 3200 Unterschriften in Grevenbroich gesammelt werden, damit es in der Folge zu einem Bürgerentscheid kommen könnte.
Das Ziel des Entscheids: Die beiden Ratsbeschlüsse zu den drei geplanten großen Unterkünften in Wevelinghoven (ZUE) und Hemmerden sowie Frimmersdorf sollen gekippt werden. „Sollte der Rat die Zulässigkeit beschließen, müssen wir dafür sorgen, dass die notwendigen Unterschriften da sind, damit ein Bürgerentscheid durchgeführt werden kann“, erklärte der Rechtsanwalt Peter Wingerath, der nach eigenen Angaben Vereinsmitglied ist und auf einer kleinen Bühne sprach. In Grevenbroich ist er als Justiziar der Bürgerschützen bekannt. Mit den Unterschriften, erläuterte er, müsse ein öffentliches Bedürfnis nachgewiesen werden.
Neben den Standorten in Hemmerden und Frimmersdorf stand vor allem die geplante ZUE auf dem Lange-Walker-Gelände im Fokus des Treffens. Es sei eine „Massenverwahrstelle“, sagte Bianca Frohnert. Auf engem Raum steige das Konfliktpotenzial. Eine dezentrale Unterbringung bedeute hingegen,
„dass die Menschen vernünftig leben und integriert werden können“. Auf die örtlichen Gegebenheiten werde nicht geschaut, sagte Frohnert: So seien die infrastrukturellen Voraussetzungen nicht gegeben.
Für den Verein, zu dessen Vorsitzenden auch der Bruder des Politikers Daniel Rinkert zählt, ist die geplante ZUE ein Präzedenzfall. Wenn in Wevelinghoven die ZUE gebaut werde, würden weitere folgen, meinte Peter Wingerath. „Wenn wir hier die ZUE auf der Untermühle verhindern, muss das auf eine Art und Weise passieren, dass sie gar nicht auf den Gedanken kommen, woanders eine hinzubauen.“
Unabhängig vom Ausgang eines möglichen Bürgerentscheids möchte sich der Verein wieder auflösen, wenn die Bürgerbegehren beendet sind. Übrige Spenden sollen dann an den Flüchtlingsrat NRW gehen. Der Verein sei auch gegründet worden, um sich von der AfD abzugrenzen. „Wir sind kein verlängerter Arm einer Partei, die grundsätzlich gegen Ausländer ist“, betonte Wingerath.