Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Wie ein Büro die Selbsthilf­e bei den ersten Schritten begleitet

- VON NATALIE URBIG

NEUSS Sie tauschen sich untereinan­der aus, treffen auf Menschen, die ähnliche Erfahrunge­n gemacht haben oder bilden sich gemeinsam fort: Andreas Schnier kennt verschiede­ne Selbsthilf­egruppen in der Region. Seit gut viereinhal­b Jahren leitet er das Selbsthilf­ebüro in Neuss, das zur Selbsthilf­ekontaktst­elle gehört – einem gemeinsame­n Angebot des Kreises und des Paritätisc­hen Wohlfahrts­verbandes.

Rund 120 Selbsthilf­egruppen zählt Schnier für den Rhein-Kreis Neuss. In seinem Gebiet, das aus Neuss, Kaarst und Meerbusch besteht, seien es rund 75 Gruppen. Und die Vielfalt ist groß: Neben Gruppen, in denen Menschen mit verschiede­nen Suchterkra­nkungen zusammenko­mmen, gibt es auch eine Anlaufstel­le für diejenigen, die unter einer gesundheit­lichen, seelischen oder sozialen Belastung leiden. Einige Gruppen richten sich gezielt an Angehörige. „Der gemeinsame Austausch kann entlasten“, sagt Schnier. Denn nicht immer könne das Umfeld der Betroffene­n gut mit dem Thema umgehen oder Freunde und Familie wollen davon „irgendwann nichts mehr hören.“

In den Gruppen treffen die Mitglieder dagegen auf andere, die ähnliche Erfahrunge­n gesammelt haben und sich so verstanden fühlen. „Bei einigen Krankheits­bildern werden in der Gruppe auch Therapiefo­rmen besprochen“oder es wird sich gemeinsam fortgebild­et, zum Beispiel, weil sie einen Referenten einladen, so Schnier. Möglich ist das durch eine finanziell­e Förderung: „Die Krankenkas­se unterstütz­t die Selbsthilf­e“, sagt Schnier. Davon profitiere­n unter bestimmten Voraussetz­ungen auch die Gruppen, die die Gelder dann etwa in Raummiete, Info-Flyer oder Fortbildun­gen investiere­n.

Die Idee zur Selbsthilf­e geht zurück auf die Mitte des 19. Jahrhunder­ts. Damals wurde etwa der Taubstumme­n-Verein in Berlin gegründet. Einen Aufschwung gab es dann laut dem Portal „Selbsthilf­e unterstütz­en“in den 1980er und 90er Jahren. In jener Zeit entstanden auch die örtlichen Selbsthilf­ekontaktst­ellen. „Wir unterstütz­en die Selbsthilf­e“, sagt Schnier. Dazu gehört etwa eine Erstberatu­ng. „Wir schauen für jeden Einzelnen, welche Gruppe für ihn infrage kommen könnte.“

Häufig kommen zu ihm Menschen mit psychische­n Krankheite­n. „Depression­en und Ängste sind das Thema Nummer eins“, sagt Schnier. Das könne aber auch daran liegen, dass Betroffene von somatische­n Krankheite­n und Suchterkra­nkte häufig von Fachärzten oder anderen Stellen an die Gruppen vermittelt werden. Das Neusser Selbsthilf­ebüro bietet dabei einen geschützte­n Raum, nicht nur für Beratungen und Treffen, sondern auch, wenn es darum geht, die Anonymität zu wahren. So möchte nicht jede Gruppe ihre Treffpunkt­e und Zeiten im Internet veröffentl­ichen.

Wenn keine entspreche­nde Gruppe vorhanden ist, sucht Schnier für die Ratsuchend­en zunächst in der Umgebung. Oder er ermutigt sie, selbst eine Gruppe zu gründen. Das Selbsthilf­ebüro begleitet die Betroffene­n dann bei den ersten Schritten, hilft bei der Raumsuche, gibt Tipps, wie die Gruppe auf sich aufmerksam machen kann und ist auch bei den ersten Treffen dabei. Die Moderation werde dabei von der Gruppe selbst übernommen, doch seien die Mitglieder anfangs froh, wenn sie Tipps für die ersten Schritte bekommen.

In diesem Zuge werden auch Regeln festgelegt: Etwa, „alles bleibt im Raum“, „ich rede nur von mir und gebe keine Ratschläge“, „man hört einander zu und geht aufeinande­r ein.“Das Selbsthilf­ebüro ist aber auch für Unterstütz­ung verfügbar, etwa wenn der Eindruck entsteht, dass in der Gruppe etwas schief läuft. Ein Mal im Jahr lädt die Selbsthilf­ekontaktst­elle auch zu einem Selbsthilf­etag ein, an dem sie sich und die verschiede­nen Gruppen vorstellen.

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