Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Was die Europawahl so wichtig macht
Der Generalsekretär der Bundes-FDP, Bijan Djir-Sarai, sprach vor 70 Zuhörern in der Gesellschaft Erholung. Dabei trat er nicht nur für eine andere Energiepolitik ein, sondern betonte auch die Wichtigkeit der Europawahl.
NEUSS Für Bijan Djir-Sarai war es ein Heimspiel. Der Generalsekretär der Bundes-FDP in Berlin ist ja auch der FDP-Kreisvorsitzende aus Grevenbroich. Am Donnerstag war er zu Gast bei der Gesellschaft Erholung in Neuss und sprach über Herausforderungen für Deutschland und Europa. Die Gesellschaft Erholung war für Djir-Sarai auch eine Herausforderung, denn die Gesellschaft nennt sich zwar liberal, unter den rund 70 Zuhörern war aber die CDU stark vertreten – nicht nur durch den Vorsitzenden Tillmann Lonnes oder den Bundestagsabgeordneten Hermann Gröhe.
Aber der „General“meisterte diese Herausforderung. „Ich kann auch Judo“, warnte er mögliche Angreifer. Und den CDU-Sympathisanten im Clubraum schenkte er unverblümt ein, viele Probleme in Deutschland – Nordstream 2 oder Migration 2015 etwa – habe die jetzige Regierung „von Frau Merkel geerbt.“Da war er ganz auf einer Linie mit Familie Lonnes. In seiner Begrüßung hatte Tillmann Lonnes ein fiktives Gespräch mit seiner 92-jährigen Mutter geführt. Für sie gab es nur das Gegensatzpaar CDU und Kommunisten. Das änderte sich mit der Kanzlerin Merkel. Da habe es nur noch „die Guten und die Kommunisten“gegeben. Und die Mutter rechnete Djir-Sarai ebenfalls zu den Guten. In den Jahren 2016/2017 waren Lonnes und er Kollegen als Dezernenten beim Rhein-Kreis Neuss. Während sich alle anderen Dezernenten um den Landrat in Grevenbroich scharten, sei Lonnes stets in Neuss geblieben, plauderte Djir-Sarai aus dem Nähkästchen. Überhaupt erwies sich Bijan Djir-Sarai nicht nur als schlagfertig, sondern auch als witzig. Als er sich einmal räuspern musste, wollte er es mal mit der Zweitstimme versuchen: „Damit kennt sich die FDP ja aus.“Als die Ampel-Koalition zusammenkam, sei die Welt eine andere gewesen. Im Herbst 2021 waren die Folgen der Corona-Pandemie noch deutlich zu spüren. Es folgten enorme Herausforderungen. Der Krieg in der Ukraine und die Flüchtlingskrise waren damals nicht erkennbar. Der Angriff Russlands auf die Ukraine habe Deutschland und Europa verändert. Die deutsche Unterstützung der Ukraine sei enorm. Trotzdem sei ihm „sehr lieb“, einen Kanzler zu haben, der bei diesen Fragen lange überlege.
Den Ausstieg der schwarz-gelben Regierung 2009 aus der Kernenergie nannte Djir-Sarai damals die richtige Entscheidung, aber aus heutiger Sicht falsch. Deutschland sei heute ein Vorbild, wie man es nicht machen solle. Ein noch größerer Fehler sei es, auch aus der Atomforschung auszusteigen. Japan habe seinen Atom-Ausstieg rückgängig gemacht. Es sei auch verlogen, wenn Deutschland seine Atommeiler abstelle, aber dann Atomstrom aus Frankreich beziehe. Genauso die Fracking-Technologie abzulehnen, aber Fracking-Gas aus den USA zu importieren. Bereits vor zehn, 15 Jahren hätten in der Energiepolitik Reformen angepackt werden müssen.
Bei der Schuldenbremse stehe die FDP heute ganz allein da. Djir-Sarai sprach sich für eine solide Finanzpolitik aus: „Auch die Finanzpolitik muss nachhaltig sein.“Der Sozialstaat sei eine große Errungenschaft. Zur sozialen Gerechtigkeit gehöre aber auch ein deutlicher Lohnabstand zum Bürgergeld. Schon heute machten Sozialausgaben die Hälfte des Bundeshaushaltes aus. Deshalb wünsche er sich für die nächsten drei, vier Jahre keine neuen sozialen Aufgaben.
Das Thema Migration müsse man sehr pragmatisch angehen. Djir-Sarai nimmt sich Staaten wie die USA, Kanada und Neuseeland zum Vorbild. Eine nutzengeleitete Migration diene dem Arbeitsmarkt, in Deutschland sei es umgekehrt. Dort werde es Migranten schwer gemacht, in Arbeit zu kommen, aber leicht, in die sozialen Sicherungssysteme. Aber auch viele deutsche Mitbürger verstünden den Staat als eine Handelskette mit Sonderangeboten.
Mit Blick auf die Europawahl am 9. Juni sprach er von einer „wahnsinnig wichtigen Wahl“. 67 Prozent der Bürokratie in Deutschland gehe von Brüssel aus. An das Publikum in der Gesellschaft Erholung gerichtet, sprach er von einer „bürgerlichen Lufthoheit“: Die habe man zu lange anderen überlassen.