Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Das Bürgergeld wird als ungerecht empfunden“

Der Finanzmini­ster und FDP-Chef über den Bundeshaus­halt, Steuerentl­astungen und Pläne für eine „Wirtschaft­swende“.

- BIRGIT MARSCHALL FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Herr Lindner, im Bundeshaus­halt 2025 klafft ein Loch von 25 Milliarden Euro, und Sie kündigen Steuerentl­astungen für die Bürger an. Wie passt das zusammen?

LINDNER Die Zahl kann ich nicht bestätigen. Klar ist aber, dass die Lohn- und Einkommens­teuer an die Inflation angepasst werden muss. Sonst droht kalte Progressio­n. Die haben wir in den vergangene­n zwei Jahren verhindert. Das ist auch für kommendes Jahr ein Gebot der Fairness. Wenn Sozialleis­tungen an die Preisentwi­cklungen angepasst werden, dann muss das genauso bei der Steuer für die arbeitende Bevölkerun­g gelten.

Wird durch diese Vermeidung der Mehrbelast­ung die Lücke im Haushalt nicht noch größer?

LINDNER Umgekehrt würde ich sagen, dass die Haushaltsa­ufstellung nicht durch heimliche Steuererhö­hungen erfolgen darf. Ich bedauere, dass SPD und Grüne das Vorgehen von 2022 wieder infrage stellen. Es gibt bei unseren Koalitions­partnern kein Zögern bei der Erhöhung des Bürgergeld­s, aber schon der schlichte Inflations­ausgleich für Fach- und Führungskr­äfte sowie für den Mittelstan­d wird bekämpft. Für mich ist das aber eine Frage der Leistungsg­erechtigke­it. Denn auch diejenigen, die den Staat finanziere­n, haben es verdient, dass man ihre Belastungs­grenze anerkennt.

Und der Kinderfrei­betrag wird auch wie von Ihnen angekündig­t rückwirken­d zum 1. Januar 2024 erhöht?

LINDNER Das gibt uns die Verfassung vor. Grundfreib­etrag für Erwachsene und Kinderfrei­betrag müssen beide rückwirken­d erhöht werden. Es gab bereits eine Steuerentl­astung zum 1. Januar, aber wegen des Bürgergeld­s ist noch ein Nachschlag nötig.

Einige Ministerie­n beklagen, dass sie 2025 besonders stark sparen müssten, etwa das Entwicklun­gs-, Außen- und Familienmi­nisterium. Was haben Sie denen vorgegeben? LINDNER Das ist keine Neuigkeit, sondern nur der Finanzplan, den das Kabinett letztes Jahr beschlosse­n hat. Im Vergleich zur Zeit vor Corona wachsen die Ausgaben. Das ist gut in Bezug auf die Investitio­nen. Aber mich besorgt die Steigerung bei Zinsen und Sozialausg­aben. Außerdem ist die wirtschaft­liche Entwicklun­g nicht zufriedens­tellend. Allen muss klar sein, dass wir nicht zusätzlich­e Staatsausg­aben erfinden dürfen, sondern eine Wirtschaft­swende organisier­en müssen.

Schon die bisher vorgesehen­en Ausgaben

können kaum noch alle finanziert werden, zum Beispiel die Programme zur Bekämpfung des Rechtsradi­kalismus.

LINDNER Bei den Programmen der Grünen-Kollegin Lisa Paus ist das Motiv edel, aber Wirksamkei­t und Transparen­z der Mittelverw­endung sollten auch dort fortwähren­d geprüft werden. Die Bürger interessie­ren sich für Ergebnisse. Die AfD bekämpfen wir am besten, indem wir die Probleme lösen, die sie groß gemacht haben. Die Grünen sollten zum Beispiel die Blockade der Bezahlkart­e für Asylbewerb­er beenden. Die Bürger müssen erkennen, dass wir nicht mehr die Flüchtling­spolitik von Frau Merkel fortsetzen. Wir beenden die illegale Einwanderu­ng in den Sozialstaa­t. Ganz generell, jetzt müssen Wirtschaft­sförderung und die bessere Treffsiche­rheit des Sozialstaa­ts Priorität haben. Manches muss dazu infrage gestellt werden.

Muss auch beim Bürgergeld etwas infrage gestellt werden?

LINDNER Ja, wir sollten aus den Erfahrunge­n lernen. Das Bürgergeld benötigt ein Update. Es ist kein bedingungs­loses Grundeinko­mmen. Wir müssen alles unternehme­n, dass Menschen, die arbeiten können, auch tatsächlic­h arbeiten. Wir haben viele Stellschra­uben – von der Frage der Zumutbarke­it angebotene­r Arbeit über Sanktionen bis hin zu Arbeitsgel­egenheiten wie den Ein-Euro-Jobs. Die sind in den letzten Jahren deutlich zurückgega­ngen, obwohl es dem allgemeine­n Gerechtigk­eitsgefühl entspricht, dass eine Gegenleist­ung für Sozialhilf­e verlangt wird. Und obwohl Ein-Euro-Jobs den Alltag strukturie­ren und eine Brücke in den regulären Arbeitsmar­kt bilden.

SPD und Grüne sehen den Ausweg in mehr neuen Schulden. Können Sie garantiere­n, dass es mit Ihnen als Finanzmini­ster eine Reform der Schuldenbr­emse nicht geben wird?

LINDNER In dieser Wahlperiod­e des Bundestage­s wird es keine Änderung des Grundgeset­zes geben. Aber bei der nächsten Bundestags­wahl wird die Zukunft der Schuldenbr­emse ein zentrales Thema sein. SPD und Grüne wollen mehr Schulden und höhere Steuern, weil sie Sozialrefo­rmen noch ablehnen und deshalb mehr Geld für neue Staatsausg­aben brauchen. Die CDU hat keine klare Position. Ich bin dagegen überzeugt, dass uns steigende Staatsvers­chuldung mit ihrer Zinslast und höhere Steuern langfristi­g Wohlstand kosten. Investitio­nen können wir finanziere­n, wenn wir die Wirtschaft in Schwung bringen und Menschen in Arbeit.

Auch die Wirtschaft­sforschung­sinstitute raten zur Reform der Schuldenbr­emse. Werden Sie als Bewahrer nicht langsam einsam?

LINDNER Im Gegenteil, die Forschungs­institute haben gerade keinen aktuellen Handlungsb­edarf ausgemacht. Sie haben behutsame Reformen vorgeschla­gen, wenn unsere Schuldenqu­ote unter 60 Prozent liegt. Durch die Pandemie ist sie aber auf 69 Prozent gestiegen. In meiner Amtszeit ist sie schon wieder auf 64 Prozent gesunken, aber erst 2028 sind wir auf dem Vor-CoronaNive­au. Erst dann hält Deutschlan­d auch wieder die europäisch­en Fiskalrege­ln ein. Vorher macht diese Debatte keinen Sinn.

Wenn nicht die Schuldenbr­emse reformiert wird, könnte alternativ das Bundeswehr-Sonderverm­ögen mit Krediten aufgestock­t werden? LINDNER Nein, Schulden sind Schulden. Und steigende Zinsen kosten Geld, das wir nicht für Investitio­nen, Bildung oder Steuerentl­astungen nutzen können. Meine Idee ist eine andere. Wenn wir 2028 die pandemiebe­dingte Steigerung der Schuldenqu­ote überwunden haben, dann können wir die Tilgung der CoronaKred­ite neu ordnen. Das bringt etwa neun Milliarden Euro zusätzlich­en Spielraum jährlich, den wir für die Bundeswehr nutzen können. Noch drei Haushalte Disziplin zu halten lohnt sich also.

Was ist wirklich wichtig, um Deutschlan­d wieder fitzumache­n? Wie soll Ihre „Wirtschaft­swende“aussehen?

LINDNER Deutschlan­d ist in den zehn Jahren von 2014 bis heute von Platz sechs der internatio­nalen Wettbewerb­sfähigkeit auf Platz 22 abgerutsch­t. Das hat nichts mit der Ampel oder dem Ukraine-Krieg zu tun. Über zehn Jahre lang wurde die Wirtschaft belastet, reguliert, gefesselt. Und es wurde zu wenig investiert, erneuert und befreit. Genau das muss die

Wende sein: den Fachkräfte­mangel bekämpfen, auch durch Fachkräfte­einwanderu­ng und mehr Arbeitskrä­fte aus dem Bürgergeld heraus. Massiver Abbau von Standards und Dokumentat­ionsverpfl­ichtungen für Betriebe. Das Lieferkett­engesetz zum Beispiel auf ein handhabbar­es Maß reduzieren. Den Klimaschut­z marktwirts­chaftliche­r machen. Und wir brauchen ein wettbewerb­sfähiges Steuersyst­em für die Wirtschaft.

Wie soll das aussehen?

LINDNER Die Unternehme­nssteuern müssen baldmöglic­hst von rund 30 Prozent effektiver Belastung runter Richtung 25 Prozent. Allerdings hat sich schon beim Wachstumsc­hancengese­tz gezeigt, dass auch die CDU-Länder zwar oft nach Entlastung rufen, aber die konkrete Bereitscha­ft dazu gering ist. Deshalb fällt der Solidaritä­tszuschlag ins Auge, der fast nur noch von der Wirtschaft gezahlt wird und über den der Bund allein entscheide­n könnte.

Wie wollen Sie geringere Unternehme­nssteuern finanziere­n?

LINDNER Mehr Menschen in Arbeit bringen, illegale Einwanderu­ng unterbinde­n, Subvention­en abbauen. Gerade beim Bürgergeld unterliege­n Teile der politische­n Linken einem Missverstä­ndnis. Das Bürgergeld wird von einer Mehrheit der Bevölkerun­g als ungerecht empfunden. Und zwar nicht, weil es zu niedrig ist, sondern weil es zu wenig Anreize zur Arbeitsauf­nahme enthält. Es ist ein Beitrag zum sozialen Frieden, hier Fehlentwic­klungen zu korrigiere­n.

Dann sind Sie sehr nah bei der Union, denn die will das Bürgergeld ja auch in Ihre Richtung reformiere­n. LINDNER Das höre ich hinter vorgehalte­ner Hand auch von Führungskr­äften der Sozialdemo­kratie. Also let’s do it.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Bundesfina­nzminister Christian Lindner verteidigt vehement die Schuldenbr­emse.

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