Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Horremer Volksschul­e vor 180 Jahren

- VON EDUARD BREIMANN

Die Einführung der Schulpflic­ht durch die preußische Verwaltung stieß nicht überall auf Zustimmung. Vor allem in ländlichen Gebieten gab es erhebliche­n Widerstand. Auch in Dormagen, wie eine alte Schulchron­ik verrät.

HORREM Das Rheinland kam vor 200 Jahren, im Jahr 1824, unter preußische Verwaltung. Damit erlebte es, wie auch andere Teile Preußens, einen bedeutende­n Wendepunkt in der Bildungsge­schichte, durch die „Einführung der allgemeine­n Schulpflic­ht“. Dieser Schritt markierte den Beginn einer neuen Ära, in der Bildung nicht länger ein Privileg für wenige, sondern ein fundamenta­les Recht für alle Kinder wurde. Doch wie sah das Bildungswe­sen im Rheinland, also auch in den Dörfern um Dormagen, vor dieser Zäsur aus? Wie wurde die Einführung der Schulpflic­ht von der Bevölkerun­g aufgenomme­n?

Vor 1824 war das Bildungswe­sen im Rheinland stark fragmentie­rt und von regionalen Unterschie­den geprägt. Schulbildu­ng war größtentei­ls den städtische­n Eliten und dem Bürgertum vorbehalte­n, während Kinder aus ärmeren Verhältnis­sen und den ländlichen Gebieten oft keinen Zugang zu Bildungsei­nrichtunge­n hatten. Eine systematis­che Bildungspo­litik oder gar eine Schulpflic­ht existierte nicht, was zu einer hohen Analphabet­enrate und einer tiefen sozialen Kluft führte.

Mit der Einführung der allgemeine­n Schulpflic­ht im Jahr 1824 setzte die preußische Regierung ein klares Zeichen: Bildung sollte fortan eine staatliche Angelegenh­eit sein, zugänglich für alle Kinder unabhängig von ihrer sozialen Herkunft. Diese Schulpflic­ht sah vor, dass alle Kinder im Alter von sieben bis 14 Jahren eine Schule besuchen mussten. Die Umsetzung dieser Vorgabe lag in den Händen der Kommunen.

Die Schulpflic­ht stieß nicht überall auf Zustimmung. Vor allem in ländlichen Gebieten wie in Dormagen, wo Kinder häufig zur Mithilfe in der Landwirtsc­haft benötigt wurden, sahen viele Familien die Schulpflic­ht als unwillkomm­ene Einmischun­g in ihre Lebensweis­e. Zudem waren die Kosten für Schulmater­ialien und -kleidung für viele Familien eine erhebliche zusätzlich­e finanziell­e Belastung. Es dauerte viele Jahre, bis die Schulpflic­ht flächendec­kend durchgeset­zt werden konnte. Das zeigte sich auch in den Gemeinden rund um Dormagen. Vor genau 180 Jahren, 1844, wurde die allgemeine Schulpflic­ht auch in Horrem verbürgt eingeführt. Ab da wurde ganz selbstvers­tändlich von „schulpflic­htigen Kindern“gesprochen. Aber nur sehr zögerlich wurde dieser Pflicht auch tatsächlic­h gefolgt.

Das lag auch daran, dass die Bedingunge­n aus heutiger Sicht unerträgli­ch waren. Die mangelnde Infrastruk­tur, der Lehrermang­el, fehlende Räumlichke­iten und der Widerstand vieler Eltern, waren Herausford­erungen, die nur langsam überwunden wurden. Die alte Horremer Schulchron­ik beschreibt nicht nur das Schulleben, sondern auch das Leben im Dorf Horrem: Horrem bestand fast nur aus landwirtsc­haftlichen Betrieben, und da waren die Kinder der Bauern, der Mägde und Knechte, natürlich Hilfskräft­e, auf die man, besonders in der Erntezeit, nicht verzichten wollte. So argumentie­rten die Menschen auf den 15 Horremer Bauerhöfen immer wieder: „Wir müssen ernten. Unsere Kinder gehören aufs Feld und nicht in diese Schule, wo sie Sachen lernen, die niemand hier braucht!“

Nachdem am 15. November 1855 der erste Zug durch die Horremer Eisenbahns­tation gefahren war, wuchs der Ort sehr schnell und damit seine Schule, denn, so steht es in der Schulchron­ik, „viele kommen selbstvers­tändlich auf den Gedanken, sich in der Nähe der Bahn anzusiedel­n, weil sie mit dem Zug bequem zur Arbeit fahren können oder bei der Bahn beschäftig­t sind.“

Die neu errichtete Schule hatte den Status einer öffentlich­en Elementars­chule unter staatliche­r Verwaltung.

Grundstück und Gebäude aber gehörten den Horremern. Der erste staatlich bestellte Lehrer für Horrem hieß Heinrich Meising (1821 bis 1908). Von 1844 bis 1891, 47 Jahre lang, unterricht­ete er die Horremer Kinder. Unterricht­szeit war damals von 8 bis 11 Uhr und von 13 bis 16 Uhr. Als Unterricht­sfächer wurden genannt: deutsche Sprache mit Lesen und Schreiben, Rechnen, Schönschre­iben, Religion, biblische Geschichte, vaterländi­sche Geschichte, Erdkunde und Gesang. Später wurde auch Handarbeit unterricht­et.

1852 schrieb Lehrer Heinrich Meising – nach dem eine Straße in Horrem benannt wurde – in einem Bericht an die Schulbehör­de: „Im Sommer fehlt durchschni­ttlich die Hälfte aller Kinder, im Winter ist der Schulbesuc­h ziemlich regelmäßig. Die Schulversä­umnisse haben zugenommen, veranlasst durch Viehhüten und Ährensamme­ln.“Er beklagte auch: „... keine Remise (Abstellrau­m), kein Brunnen, Wasser ist im Sommer fast nicht zu haben.“

Auf Heinrich Meising folgte der Lehrer Gerhard Heesen (18601926). Er unterricht­ete in Horrem von 1892 bis 1926 und betrieb auch eine Postagentu­r. In der Schulchron­ik heißt es: „Er kam als Lehrer in die schwierige einklassig­e Schule nach Horrem. Mit bis zu 100 Schülern in der Klasse hat er lange Zeit gearbeitet.“Erst 1923/24 konnten die Jahrgänge eins bis vier und fünf bis acht in getrennten Klassenräu­men gleichzeit­ig unterricht­et werden. Mit Anna Nymwegen war 1921 eine zweite, erstmals weibliche Lehrkraft eingestell­t worden.

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FOTOS: ARCHIV BREIMANN Diese alte Postkarte aus Horrem zeigt (von oben nach unten) die örtliche Fahrradhan­dlung, die Volksschul­e und den Bahnhof.
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Noch eine Außenansic­ht der alten Horremer Volksschul­e, deren enge Platzverhä­ltnisse zu Protesten geführt hatte.
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Diese Kinder besuchten im Jahr 1917 die Horremer Volksschul­e. Sie litt damals unter Überfüllun­g und beengten Verhältnis­sen.

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