Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Die Horremer Volksschule vor 180 Jahren
Die Einführung der Schulpflicht durch die preußische Verwaltung stieß nicht überall auf Zustimmung. Vor allem in ländlichen Gebieten gab es erheblichen Widerstand. Auch in Dormagen, wie eine alte Schulchronik verrät.
HORREM Das Rheinland kam vor 200 Jahren, im Jahr 1824, unter preußische Verwaltung. Damit erlebte es, wie auch andere Teile Preußens, einen bedeutenden Wendepunkt in der Bildungsgeschichte, durch die „Einführung der allgemeinen Schulpflicht“. Dieser Schritt markierte den Beginn einer neuen Ära, in der Bildung nicht länger ein Privileg für wenige, sondern ein fundamentales Recht für alle Kinder wurde. Doch wie sah das Bildungswesen im Rheinland, also auch in den Dörfern um Dormagen, vor dieser Zäsur aus? Wie wurde die Einführung der Schulpflicht von der Bevölkerung aufgenommen?
Vor 1824 war das Bildungswesen im Rheinland stark fragmentiert und von regionalen Unterschieden geprägt. Schulbildung war größtenteils den städtischen Eliten und dem Bürgertum vorbehalten, während Kinder aus ärmeren Verhältnissen und den ländlichen Gebieten oft keinen Zugang zu Bildungseinrichtungen hatten. Eine systematische Bildungspolitik oder gar eine Schulpflicht existierte nicht, was zu einer hohen Analphabetenrate und einer tiefen sozialen Kluft führte.
Mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht im Jahr 1824 setzte die preußische Regierung ein klares Zeichen: Bildung sollte fortan eine staatliche Angelegenheit sein, zugänglich für alle Kinder unabhängig von ihrer sozialen Herkunft. Diese Schulpflicht sah vor, dass alle Kinder im Alter von sieben bis 14 Jahren eine Schule besuchen mussten. Die Umsetzung dieser Vorgabe lag in den Händen der Kommunen.
Die Schulpflicht stieß nicht überall auf Zustimmung. Vor allem in ländlichen Gebieten wie in Dormagen, wo Kinder häufig zur Mithilfe in der Landwirtschaft benötigt wurden, sahen viele Familien die Schulpflicht als unwillkommene Einmischung in ihre Lebensweise. Zudem waren die Kosten für Schulmaterialien und -kleidung für viele Familien eine erhebliche zusätzliche finanzielle Belastung. Es dauerte viele Jahre, bis die Schulpflicht flächendeckend durchgesetzt werden konnte. Das zeigte sich auch in den Gemeinden rund um Dormagen. Vor genau 180 Jahren, 1844, wurde die allgemeine Schulpflicht auch in Horrem verbürgt eingeführt. Ab da wurde ganz selbstverständlich von „schulpflichtigen Kindern“gesprochen. Aber nur sehr zögerlich wurde dieser Pflicht auch tatsächlich gefolgt.
Das lag auch daran, dass die Bedingungen aus heutiger Sicht unerträglich waren. Die mangelnde Infrastruktur, der Lehrermangel, fehlende Räumlichkeiten und der Widerstand vieler Eltern, waren Herausforderungen, die nur langsam überwunden wurden. Die alte Horremer Schulchronik beschreibt nicht nur das Schulleben, sondern auch das Leben im Dorf Horrem: Horrem bestand fast nur aus landwirtschaftlichen Betrieben, und da waren die Kinder der Bauern, der Mägde und Knechte, natürlich Hilfskräfte, auf die man, besonders in der Erntezeit, nicht verzichten wollte. So argumentierten die Menschen auf den 15 Horremer Bauerhöfen immer wieder: „Wir müssen ernten. Unsere Kinder gehören aufs Feld und nicht in diese Schule, wo sie Sachen lernen, die niemand hier braucht!“
Nachdem am 15. November 1855 der erste Zug durch die Horremer Eisenbahnstation gefahren war, wuchs der Ort sehr schnell und damit seine Schule, denn, so steht es in der Schulchronik, „viele kommen selbstverständlich auf den Gedanken, sich in der Nähe der Bahn anzusiedeln, weil sie mit dem Zug bequem zur Arbeit fahren können oder bei der Bahn beschäftigt sind.“
Die neu errichtete Schule hatte den Status einer öffentlichen Elementarschule unter staatlicher Verwaltung.
Grundstück und Gebäude aber gehörten den Horremern. Der erste staatlich bestellte Lehrer für Horrem hieß Heinrich Meising (1821 bis 1908). Von 1844 bis 1891, 47 Jahre lang, unterrichtete er die Horremer Kinder. Unterrichtszeit war damals von 8 bis 11 Uhr und von 13 bis 16 Uhr. Als Unterrichtsfächer wurden genannt: deutsche Sprache mit Lesen und Schreiben, Rechnen, Schönschreiben, Religion, biblische Geschichte, vaterländische Geschichte, Erdkunde und Gesang. Später wurde auch Handarbeit unterrichtet.
1852 schrieb Lehrer Heinrich Meising – nach dem eine Straße in Horrem benannt wurde – in einem Bericht an die Schulbehörde: „Im Sommer fehlt durchschnittlich die Hälfte aller Kinder, im Winter ist der Schulbesuch ziemlich regelmäßig. Die Schulversäumnisse haben zugenommen, veranlasst durch Viehhüten und Ährensammeln.“Er beklagte auch: „... keine Remise (Abstellraum), kein Brunnen, Wasser ist im Sommer fast nicht zu haben.“
Auf Heinrich Meising folgte der Lehrer Gerhard Heesen (18601926). Er unterrichtete in Horrem von 1892 bis 1926 und betrieb auch eine Postagentur. In der Schulchronik heißt es: „Er kam als Lehrer in die schwierige einklassige Schule nach Horrem. Mit bis zu 100 Schülern in der Klasse hat er lange Zeit gearbeitet.“Erst 1923/24 konnten die Jahrgänge eins bis vier und fünf bis acht in getrennten Klassenräumen gleichzeitig unterrichtet werden. Mit Anna Nymwegen war 1921 eine zweite, erstmals weibliche Lehrkraft eingestellt worden.