Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
NGZ-Familie der ersten Stunde
Johann Becker, der seit Mitte des 19. Jahrhunderts auf der Furth eine Nagelschmiede betrieb, gehörte 1874 zu den ersten NGZ-Lesern. Seine Nachkommen blieben Neuss und der Zeitung treu. Eine Familiengeschichte.
Samstags liest Peter Becker erst einmal die Namen derer, die, wie es der 89-Jährige formuliert, „nicht mehr mitmachen“. Die noch einmal in der Neuß-Grevenbroicher Zeitung Erwähnung finden – wenn auch schwarz eingerahmt. So hat es der 89-Jährige von seinem Vater übernommen und der wiederum von seinem und der von seinem – bis zurück zu Beckers Urgroßvater Johann, der nachweislich 1874 zu den ersten Abonnenten der NeußGrevenbroicher Zeitung zählte.
An allen anderen Tagen beginnt Peter Becker die Lektüre auf der Titelseite und arbeitet von da aus die Tageszeitung Seite für Seite durch. „Ich habe es nicht gerne, wenn mir jemand was erzählt, was ich noch nicht gelesen habe“, sagt er zur Begründung. Allerdings funktioniert das nicht mehr so wie früher. „Wenn ich meiner Tochter den Tipp gebe: ,Lies das mal’, hat sie das meist schon gesehen“, sagt der Further. Denn Alexandra Landgraf-Becker, Abonnentin in fünfter Generation, wartet nicht auf den Zeitungsboten, sondern studiert oft schon am Vorabend das E-Paper, die digitale Ausgabe der aktuellen NGZ.
Dass Beckers Ur-Abonnenten sind, hat die Familie sogar schriftlich. Nicht etwa, weil Johann Becker 1874 Quittungen über den Bezug aufbewahrt hätte. Nein, es ist ein Bericht mit zwei Fotos aus dem Herbst 1936 über die Goldhochzeit von Beckers Großeltern Margarete und Peter (senior), in dem der Reporter nicht nur die elf noch lebenden Kinder (von 15) und 29 Enkelkinder einer Erwähnung für wert befand, sondern offenbar auch einer Bitte aus der Vertriebsabteilung der NGZ nachkam, als er schrieb: „Es soll auch nicht vergessen sein, daß unsere Zeitung seit ihrem Bestehen ständiger lieber Gast im Hause Becker ist. Vom ersten Tag ihres Bestehens an, also 63 Jahre war der Vater des Jubilars Bezieher (also schon seit der Erstausgabe am 23. Dezember 1873, d.Red), und seit Jahren hat Peter Becker ihr die Treue bewahrt, so daß also die goldene Hochzeit auch das goldene Abonnenten-Jubiläum ist.“
Den Bericht hat der Enkel noch im Original aufbewahrt. Er sei ein „kleiner Archivar“, berichtet Becker, der auch andere Belege zur Familiengeschichte und seiner Schützenlaufbahn hütet. „Mich interessiert aus dem ganzen Kreis alles, was im Schützenwesen passiert“, sagt Becker, der im vergangenen Jahr für 75-jährige Mitgliedschaft in der Further Sebastianus-Bruderschaft ausgezeichnet wurde, wo er noch heute zu den Scheibenschützen gehört. 1949 erlebte er seine erste Parade, 2022 seine (vielleicht) letzte. Aber dank der NGZ sei er auf dem Laufenden, auch was die Diskussion zur „Frauenfrage“im Schützenwesen angeht. Gemischte Züge fände er nicht schön, sagt er, alles andere sei ihm egal.
Zu den gehüteten Belegen gehören auch Quittungen der NGZ. „Danksagung Becker“steht auf der Rechnung für eine im Dezember 1965 erschienene Annonce, in der sich Peter und Magdalene Becker für die Glückwünsche zur kirchlichen Trauung bedanken. 22,50 D-Mark stellte die NGZ dafür in Rechnung, allerdings vermerkte ein Fräulein Kamper auf dem Schreiben, dass den Brautleuten 50 Prozent Nachlass eingeräumt wurde. „Das war meine Cousine“, sagt Peter Becker augenzwinkernd.
Beziehungen haben halt noch nie geschadet. So wie es Peter Becker auch seinem „langen Arm ins Ordnungsamt“verdankte, dass er unbehelligt mit seinen Scheibenschützen
kleine Volksfeste im Beckerschen Garten an der Viersener Straße feiern konnte. Dieses erst vor zwei Jahren verkaufte Anwesen war schon im Familienbesitz, als Johann Becker NGZ-Abonnent wurde. Der Goldhochzeitsreporter adelte die Beckers deshalb als „Urväter jenes nördlichen Viertels“, in dem sie quasi Flurnamen prägten. „Nählschmetts Berg“wurde früher die Stelle benannt, wo heute der Bolzplatz am Jröne Meerke ist, wo aber Johann Becker schon Mitte des 19. Jahrhunderts eine Nagelschmiede betrieb. Seit 1912 wächst „Beckers Kastanie“auf dem ursprünglich riesigen Grundstück, von dem in den 1970ern Teile abgegeben wurden, als das Naherholungsgebiet Jröne Meerke gestaltet und die Fläche neben der Kastanie Parkplatz wurde.
Johann Becker, der Ur-Abonnent, hat als Nagelschmied gearbeitet, Sohn Peter und Ehefrau Margarete betrieben eine kleine Landwirtschaft mit Milchgeschäft, bevor Becker 1910 zur Straßenbahn ging und bis 1919 als Schaffner arbeitete.
Sein Sohn Hermann zog es vor, das Maler- und Lackierer-Handwerk zu erlernen. 40 Jahre habe er bei Sels gearbeitet, sagt Sohn Peter (junior), der den gleichen Beruf ergriff und die letzten 25 Jahre vor seiner Pensionierung in der Abteilung Instandhaltung der Firma Pierburg arbeitete. „Das waren meine besten
Jahre“, sagt Becker, der sich die nach Abriss der Fabrik entstandene Brache an der Bockholtstraße nur ein einziges Mal (mit Wehmut) ansah.
Als Beckers das Abo für die NGZ unterschrieben, gehörten sie zu den 3800 ersten Kunden, die die Tageszeitung bis Ende Januar 1874 – also innerhalb eines Monats – gewinnen konnte. Allerdings war die Lieferadresse nicht Neuss, sondern Kaarst, wo es 1874 genau 140 NGZ-Leser gab. Schließlich lag Nählschmetts Berg damals an der Proviziallandstraße, die zu Kaarst gehörte. Das war auch noch so, als Hermann Becker geboren wurde. Als am 13. März 1935 aber im gleichen Haus Peter Becker (junior) das Licht der Welt erblickte, galt er schon als Neusser, weil die Furth in der Zwischenzeit eingemeindet worden war.
Der Vater wie der heute noch lebende Sohn verstanden sich aber vor allem als Further. Er sei in St. Joseph getauft, zur ersten Kommunion gegangen und auch gefirmt worden, sagt Peter Becker. Und wenn seine 2022 verstorbene Frau Magdalene nicht „mitten aus der Stadt“gekommen wäre, hätte er auch dort geheiratet – und nicht in St. Quirin.
Seit 60 Jahren lebt Peter Becker nun an der Venloer Straße 107, und jeder Tag beginnt mit der NGZ. Das heißt, nicht so ganz: „Erst setz ich den Kaffee auf.“