Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
UN-Auszeichnung für Erftrenaturierung
Der Erftverband muss bis 2030 die Erft auf 40 Kilometer Länge „umbauen“. Das angestrebte Ergebnis kann schon jetzt auf dem renaturierten Abschnitt vor der Flussmündung besichtigt werden. Ihn hält man auch bei der UN für vorbildlich.
GNADENTAL/BERGHEIM Der Eisvogel ist wieder da. Schon deshalb freut sich Erftverbandsvorstand Professor Heinrich Schäfer darauf, bald Exkursionen mit seinen Studenten von der RWTH Aachen ins renaturierte Auengebiet am Unterlauf der Erft unternehmen zu können. Noch mehr freut ihn nur, dass das Projekt „Erftverlegung Gnadental“als UNDekade-Projekt ausgezeichnet wurde. Sabine Riewenherm, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz, überbrachte am Donnerstag Preis, Signet und Urkunde in die Erftverbands-Zentrale in Bergheim. Ob sie wiederkommen darf, um den Preis als Projekt des Jahres übergeben zu dürfen, entscheidet sich in einem Publikumsvoting mit sechs Kandidaten aus dem ganzen Bundesgebiet.
Dietmar Jansen wartet das nicht ab. Der Bereichsleiter Gewässer beim Erftverband kündigte an, die in der Kategorie „Gewässer und Auen“errungene Auszeichnung umgehend werbewirksam regelrecht ausschlachten zu wollen. Die 2022 beendete Renaturierung an Unterlauf und Mündung ist, so Jansen, „kein Solitär, sondern eingebettet in etwas ganz Großes“. Nämlich den „Umbau“der Erft auf einer Länge von 40 Kilometern, um den Fluss auf die Zeiten vorzubereiten, in denen ihn nicht mehr zu zwei Dritteln das Sümpfungswasser aus den Braunkohlegruben füllt. Weil der Erftverband dafür nicht mehr bis 2045 Zeit hat, wie man in Bergheim 2005 bei Verabschiedung des Perspektivkonzeptes Erft glaubte, sondern wegen des vorgezogenen Kohlausstiegs schon 2030 durch sein muss, „haben wir nur einen Versuch, um das zu schaffen“, sagt Jansen. Und das nun ausgezeichnete Vorzeigeprojekt Gnadental soll dabei Motivation aber auch Überzeugungshelfer sein.
In 23 Planungsabschnitte war die Erft zwischen Bergheim und Gnadental eingeteilt worden. Fünf sind abgearbeitet, zwei in der Umsetzung und viele andere in der Planung. Für den 6,1 Kilometer langen Erftabschnitt Wevelinghoven-Kapellen-Neubrück im Grevenbroicher Stadtgebiet wurde gerade ein Beschleunigungsplan mit den Ministerien abgestimmt, so Jansen, um vier ehemalige Planungszellen in einem Verfahren bündeln zu können. Fertigstellungstermin: 2029 und damit in der Frist. Das wird nicht überall gelingen und muss es auch nicht, wie Jansen erklärt. Denn an einigen Stellen will der Verband auch auf die dynamische Eigenentwicklung des Flusses setzen.
In Neuss wird bis 2030 nur der Abschnitt am Unterlauf fertig. Übrig bleiben 5,6 Kilometer, die in den Abschnitten Eppinghoven und Weckhoven-Holzheim 2030 und Selikum beziehungsweise Reuschenberg sogar erst 2032 planerisch angegangen werden. Gerade der Abschnitt Selikum stellt, weil da die Erft eng an einem Siedlungsbereich vorbeifließt, eine besondere Herausforderung dar, wie Henrike Mölleken betont, die Leiterin des Neusser Amtes für Umwelt und Klima. Sie woltle am Rande der Preisverleihung vor allem wissen, ob wegen der Renaturierung in der Nachbarschaft des Flusses nasse Keller zu erwarten sind. Das konnte Jansen glatt verneinen.
Mit dem UN-Projektwettbewerb sollen Vorhaben hervorgehoben werden, bei denen es um die Wiederherstellung von Ökosystemen geht. So haben es sich die Vereinten Nationen vorgestellt, als sie die Jahre 2021 bis 2030 zur UN-Dekade mit diesem Ziel erhoben. Sabine Riewenherm nannte viele Gründe, warum die Erftverlegung – neben einem Passauer Projekt zum Schutz der Flussperlmuschel und dem Programm „100 Wilde Bäche für Hessen“
– eines der Top-3-Projekte geworden ist. Als entscheidendes Plus nannte sie die Kopperation mit der TH Köln, die eine Lernplattform etabliert und digitale Formate wie einen virtuellen Aussichtsturm beigesteuert hat. Was von dem aus bei einem virtuellen Rundgang durch die Renaturierung an Erfolgen und Veränderungen zu sehen ist, beschrieb bei der Preisverleihung Martina Jüttner, die Projektleiterin beim Erftverband. „Es tümpelt“, sagte sie und erwartet rasch eine natürliche Entwicklung mit Böschungsabbrüchen. Ideal für den Eisvogel, der dann vielleicht nicht mehr nur vorbeischaut, sondern an der Erft auch brütet.