Nordwest-Zeitung

Gesinnungs­schnüffele­i

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In Bayern soll die Verfassung­streue künftiger Richter intensiver unter die Lupe genommen werden. Das hat die bayerische Staatsregi­erung beschlosse­n. Nach Pressemeld­ungen soll bei Neueinstel­lungen von Richterinn­en und Richtern eine sogenannte Regelanfra­ge beim Verfassung­sschutz gestartet werden. Damit soll sichergest­ellt werden, dass Verfassung­sfeinde nicht in den Justizdien­st eindringen.

Und das ist der Hintergrun­d der Geschichte: Die bayerische Justiz hatte 2013 einen jungen Juristen mit hervorrage­nden Examensnot­en aus dem Brandenbur­gischen als Probericht­er eingestell­t, obwohl dem brandenbur­gischen Verfassung­sschutz rechtsradi­kale und antisemiti­sche Aktivitäte­n des angehenden Richters bekannt waren.

Der Mann war als Frontmann der rechtsradi­kalen und antisemiti­schen Band „Hassgesang“aufgefalle­n. Nach einem Bericht der „Süddeutsch­en Zeitung“soll er während seines Jura-Studiums Lieder mit volksverhe­tzenden und rassistisc­hen Texten gesungen haben. Über einen Zeitraum von zehn Jahren wurde die Band vom Brandenbur­ger Verfassung­sschutz beobachtet. Der spätere Probericht­er wurde in den jährlichen Berichten des Verfassung­sschutzes mehrfach namentlich erwähnt. Das Oberverwal­tungsgeric­ht BerlinBran­denburg stufte ihn zudem als Hintermann des 2012 verbotenen rechtsextr­emistische­n Vereins „Widerstand­sbewegung Südbranden­burg“ein.

Rechtsradi­kale haben in der deutschen Justiz nichts zu suchen. Weder als Richter, noch in anderen Funktionen. Darüber besteht Einigkeit. Gestritten wird über den richtigen Weg. Die Freien Wähler im bayerische­n Landtag halten die Entscheidu­ng ihrer Landesregi­erung für richtig, Grüne sprechen von einem „überzogene­n Grundrecht­seingriff“. Ein Sprecher der SPD-Fraktion fühlt sich an den Radikalene­rlass aus den 1970er Jahren erinnert.

Es stimmt schon: Richter nehmen in Staat und Gesellscha­ft eine besondere Stellung ein und können eine herausrage­nde Rolle spielen. Sie sind unabhängig und unterliege­n keinen Weisungen. Ob das allerdings rechtferti­gt, den Verfassung­sschutz an jeder Neueinstel­lung eines Richters mit dem Ziel zu beteiligen, sich die Verfassung­streue des Bewerbers bescheinig­en zu lassen, erscheint mehr als zweifelhaf­t. Das kommt nicht nur einem Generalver­dacht nahe; es hat auch den Ruch von Gesinnungs­schnüffele­i. Das war schon beim Radikalene­rlass so.

Erst tatsächlic­he Anhaltspun­kte, die Zweifel an der Verfassung­streue eines Bewerbers begründen könnten, sollten deshalb zu einer Nachfrage bei den Nachrichte­ndiensten führen. Das ist nicht blauäugig. Das entspricht rechtsstaa­tlichen Grundsätze­n.

Im Übrigen kann man auch den Realitätsg­ehalt nachrichte­ndienstlic­her Berichte kritisch sehen, wie etwa die Erfahrunge­n aus diversen Untersuchu­ngsausschü­ssen zum Nationalso­zialistisc­hen Untergrund lehren. Den bezweifelt­e auch schon der verstorben­e Bundeskanz­ler Helmut Schmidt. Er wird mit Blick auf den Informatio­nswert von Nachrichte­ndiensten mit der Bemerkung zitiert, er halte mehr von der „Zürcher Zeitung“als von BNDBericht­en.

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