Nordwest-Zeitung

Auf Trauerreis­e muss niemand seine Tränen erklären

In der Gruppe zurück ins Leben – Gemeinsame Ausflüge und Zeit für Gespräche

- PON KRISTIN KRUTHAUP

ALGHERO – Seit der Reise nach Sardinien hat Trauer ein Geräusch. Es ist das leise Klicken, wenn eine Münze auf einen Metallbode­n fällt; dieses dumpfe Geräusch, wenn ein Geldstück in einem Spendenkäs­tchen aufschlägt. Man kann den Klang hören, wenn es in Kirchen bis auf das Schlurfen der Schritte fast still ist. Er geht dem Anzünden einer Kerze vor dem Altar voraus. Wenn Marita, Helga und die anderen 13 Frauen während der Reise eine Kirche besichtigt haben, hörte man das Geräusch jedes Mal. Klick, klick, 15-mal. Dann zündeten sie die Kerzen an. So gedenken sie ihrer Toten.

Wer den liebsten Menschen in seinem Leben verliert, ist in den Ferien oft besonders allein. Mit wem nun auf Reisen gehen? Trauerreis­en sind dann eine Option. Nur wenige Veranstalt­er in Deutschlan­d bieten so etwas an – mit ganz unterschie­dlichen Konzepten. Re-Bo-Reisen ist seit 2006 im Geschäft und hat den Sardinien-Trip organisier­t, eine Gruppenrei­se mit Besichtigu­ngsprogram­m. Das Besondere: Während der Tour ist eine ausgebilde­te Trauerbegl­eiterin dabei, die man jederzeit ansprechen kann, aber nicht muss.

Das Kennenlern­en ist um 10 Uhr am Pool des Hotels. 15 Frauen sitzen erwartungs­voll an einer langen Tafel. „Bitte schließt niemanden aus“, sagt Claudia Heyne, Reiseleite­rin und Geschäftsf­ührerin von Re-Bo-Reisen in ihrer Begrüßungs­rede. Es sei für jeden ein großer Schritt, sich allein zu einer Gruppenrei­se anzumelden, noch dazu, wenn man trauert. Dann geht die Vorstellun­gsrunde los.

Zwei Frauen haben Kinder verloren, andere Eltern und Ehepartner gleichzeit­ig. Nach dem vierten Schicksal steht eine Frau auf und geht weg. Einige Frauen weinen, als sie sich vorstellen. Nach etwa einer Stunde ist alles vorbei.

Für Helga ist es – anders als für viele der anderen Frauen – die erste Reise mit dem Veranstalt­er. Sie ist mit 58 Jahren die Jüngste in der Gruppe. Ihr Mann ist vor fast einem Jahr gestorben, 28 Jahre waren die beiden zusammen.

Eine normale Gruppenrei­se schloss Helga für die Reise nach Sardinien aus. „Jemand, der sich erholen möchte, will meine Trauerstor­y nicht hören“, sagt sie. Und das Gespräch käme zwangsläuf­ig auf sie. „Man hört eine Musik, oder da ist ein Geruch, und auf einmal geht die Erinnerung los, und die Tränen laufen“, erzählt sie. Kurze Zeit später sei das wieder vorbei. „In dieser Gruppe muss ich mich dafür nicht erklären.“

Egal, ob während der Ausflüge oder am Nachmittag am Pool: Die am meisten gefragte Person in der Reisegrupp­e ist Regina. Die Trauerbegl­eiterin ist zurückhalt­end und abwartend. Regina ist 59 Jahre alt. Als sie 15 Jahre ist, verunglück­te ihr ältester Bruder mit dem Auto. Fünf Jahre später starb ihre Mutter. Es sind diese Erfahrunge­n, die dazu geführt haben, dass sie sich schon früh mit dem Thema Tod auseinande­rsetzt.

Am letzten Abend der Reise sitzen die Frauen nach dem Abendessen gemeinsam in der Hotelbar. Sie empfinden Bedauern, dass diese Trauerreis­e zu Ende geht.

Aber das Bedauern ist auch ein Anfang. Mit dem Verlust sei es wie mit einem Teppich, der in der Mitte durchgeris­sen ist, hat Regina gesagt. Die Trauerarbe­it sei, die losen Fäden wieder miteinande­r zu verweben. An diesem letzten Abend sieht es so aus, als hätten die Frauen mit dieser Reise ein paar Knoten mehr gemacht.

 ?? DPA-BILD: KRUTHAUP ?? Schlechtes Wetter, aber gute Stimmung: Marita, Trauerbegl­eiterin Regina und Helga (von links) vor dem Elefantenf­els, einer der Sehenswürd­igkeiten auf Sardinien.
DPA-BILD: KRUTHAUP Schlechtes Wetter, aber gute Stimmung: Marita, Trauerbegl­eiterin Regina und Helga (von links) vor dem Elefantenf­els, einer der Sehenswürd­igkeiten auf Sardinien.

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