Auf Trauerreise muss niemand seine Tränen erklären
In der Gruppe zurück ins Leben – Gemeinsame Ausflüge und Zeit für Gespräche
ALGHERO – Seit der Reise nach Sardinien hat Trauer ein Geräusch. Es ist das leise Klicken, wenn eine Münze auf einen Metallboden fällt; dieses dumpfe Geräusch, wenn ein Geldstück in einem Spendenkästchen aufschlägt. Man kann den Klang hören, wenn es in Kirchen bis auf das Schlurfen der Schritte fast still ist. Er geht dem Anzünden einer Kerze vor dem Altar voraus. Wenn Marita, Helga und die anderen 13 Frauen während der Reise eine Kirche besichtigt haben, hörte man das Geräusch jedes Mal. Klick, klick, 15-mal. Dann zündeten sie die Kerzen an. So gedenken sie ihrer Toten.
Wer den liebsten Menschen in seinem Leben verliert, ist in den Ferien oft besonders allein. Mit wem nun auf Reisen gehen? Trauerreisen sind dann eine Option. Nur wenige Veranstalter in Deutschland bieten so etwas an – mit ganz unterschiedlichen Konzepten. Re-Bo-Reisen ist seit 2006 im Geschäft und hat den Sardinien-Trip organisiert, eine Gruppenreise mit Besichtigungsprogramm. Das Besondere: Während der Tour ist eine ausgebildete Trauerbegleiterin dabei, die man jederzeit ansprechen kann, aber nicht muss.
Das Kennenlernen ist um 10 Uhr am Pool des Hotels. 15 Frauen sitzen erwartungsvoll an einer langen Tafel. „Bitte schließt niemanden aus“, sagt Claudia Heyne, Reiseleiterin und Geschäftsführerin von Re-Bo-Reisen in ihrer Begrüßungsrede. Es sei für jeden ein großer Schritt, sich allein zu einer Gruppenreise anzumelden, noch dazu, wenn man trauert. Dann geht die Vorstellungsrunde los.
Zwei Frauen haben Kinder verloren, andere Eltern und Ehepartner gleichzeitig. Nach dem vierten Schicksal steht eine Frau auf und geht weg. Einige Frauen weinen, als sie sich vorstellen. Nach etwa einer Stunde ist alles vorbei.
Für Helga ist es – anders als für viele der anderen Frauen – die erste Reise mit dem Veranstalter. Sie ist mit 58 Jahren die Jüngste in der Gruppe. Ihr Mann ist vor fast einem Jahr gestorben, 28 Jahre waren die beiden zusammen.
Eine normale Gruppenreise schloss Helga für die Reise nach Sardinien aus. „Jemand, der sich erholen möchte, will meine Trauerstory nicht hören“, sagt sie. Und das Gespräch käme zwangsläufig auf sie. „Man hört eine Musik, oder da ist ein Geruch, und auf einmal geht die Erinnerung los, und die Tränen laufen“, erzählt sie. Kurze Zeit später sei das wieder vorbei. „In dieser Gruppe muss ich mich dafür nicht erklären.“
Egal, ob während der Ausflüge oder am Nachmittag am Pool: Die am meisten gefragte Person in der Reisegruppe ist Regina. Die Trauerbegleiterin ist zurückhaltend und abwartend. Regina ist 59 Jahre alt. Als sie 15 Jahre ist, verunglückte ihr ältester Bruder mit dem Auto. Fünf Jahre später starb ihre Mutter. Es sind diese Erfahrungen, die dazu geführt haben, dass sie sich schon früh mit dem Thema Tod auseinandersetzt.
Am letzten Abend der Reise sitzen die Frauen nach dem Abendessen gemeinsam in der Hotelbar. Sie empfinden Bedauern, dass diese Trauerreise zu Ende geht.
Aber das Bedauern ist auch ein Anfang. Mit dem Verlust sei es wie mit einem Teppich, der in der Mitte durchgerissen ist, hat Regina gesagt. Die Trauerarbeit sei, die losen Fäden wieder miteinander zu verweben. An diesem letzten Abend sieht es so aus, als hätten die Frauen mit dieser Reise ein paar Knoten mehr gemacht.