Nordwest-Zeitung

„Zwei für den Preis von einem“

LITERATUR Niederland­e und Flandern sind vom 19. bis 23. Oktober Ehrengäste der Frankfurte­r Buchmesse

- VON ANNETTE BIRSCHEL

Die Gäste haben viel gemeinsam. Die Literatur von Niederländ­ern und Flamen ist aber dennoch jeweils eigenständ­ig.

AMSTERDAM/BRÜSSEL – Der Platz Spui mitten in Amsterdam: Straßenbah­nen klingeln, Fahrräder rasen an alten Häusern vorbei. Auf einer Seite steht das Hauptgebäu­de der Universitä­t, gleich gegenüber die Traditions-Buchhandlu­ng Athenaeum. Daneben ein paar Cafés. Der Platz ist das Herz der Literaturs­zene der Niederland­e – die in diesem Jahr gemeinsamm­it Flandern die Ehrengäste der Frankfurte­r Buchmesse (19. bis 23. Oktober) sind.

„Dies ist, was wir teilen“, ist der Slogan der Gäste. Und sie haben viel gemeinsam, auch wenn sie nicht zu einem Land gehören. In Amsterdam sind flämische wie niederländ­ische Autoren gleicherma­ßen zu Hause. Die meisten Verlage residieren nicht weit vom Spui, und sie verlegen auch die flämischen Autoren. Diese wetteifern mit den Niederländ­ern um dieselben Auszeichnu­ngen. Im März feiern sie eine Buchwoche – ein Volksfest für Leser und Autoren.

Neugier auf Geschichte­n

Vor allem aber teilen sie eine große Neugier auf Geschichte­n. Flamen wieNiederl­änder sind sehr lesefreudi­g, die Medien umarmen neue Autoren. Schriftste­ller mischen auf beiden Seiten der Grenze auch in aktuellen Debatten kräftig mit. „Offen, demokratis­ch und engagiert“, so beschreibt der Amsterdame­r Buchhändle­r undAutor, Maarten Asscher, den Buchmarkt.

Bereits zum zweiten Mal nach 1993 können sich die Niederland­e und Flandern in Frankfurt präsentier­en. Im Vergleich zu damals ist die Literatur der „niedrigen Länder“mittlerwei­le fest auf dem deutschen Markt etabliert. Hugo Claus, Leon de Winter oder Connie Palmen sind auch dort Bestseller­autoren.

Deutschlan­d ist auch für die Autoren existenzie­ll notwendig. Denn auf dem eigenen, relativ kleinen Markt mit rund 20 Millionen niederlän- dischsprac­higen Lesern allein könnten sie kaum überleben. Wichtigste­r Absatzmark­t ist das Nachbarlan­d.

Mit einer Rekordzahl von mehr als 450 Neuerschei­nungen präsentier­en sich die Ehrengäste auf der Buchmesse. Sie wollen vor allem Lust auf Geschichte­n machen – und auf in Deutschlan­d noch unbekannte Autoren.

Trotz der gemeinsame­n Sprache haben Flamen und Niederländ­er aber keine gemeinsame Literatur. Die Abspaltung Belgiens von den Niederland­en 1830 führte auch zur Teilung der Literatur, wie der Leiter des niederländ­isch-flämischen Kulturzent­rums De Buren (Nachbarn), Wim Vanseveren, in Brüssel erklärt. „Die Buchmesse bekommt zwei für den Preis

von einem.“

Frage nach Identität

Die Emanzipati­on der Flamen gegen die frühere Dominanz der französisc­hsprachige­n Wallonen ist ein großes Thema der Autoren. Immer wieder auch das Trauma des Ersten Weltkriege­s. „Wir ringen mit unserer Geschichte, dem Schweigen über die Kollaborat­ion mit den Deutschen“, sagt der flämische Bestseller­autor Stefan Hertmans. Dagegen war die nationale Identität in der nieder- ländischen Literatur seit Ende der 1960er Jahre kaum mehr Thema. Weltoffen zeigten sich die Niederländ­er. Das aber änderte sich in den letzten Jahren: Probleme mit der multikultu­rellen Gesellscha­ft, Rechtspopu­listen, ein radikaler Islam und nun die Flüchtling­skrise machen die Frage nach der eigenen Identität wieder hochaktuel­l.

„Menschen haben Angst, ihre Identität zu verlieren“, sagt der niederländ­ische Bestseller­autor Tommy Wieringa . „Wir stellen uns nun mehr denn je die Frage: Wer sind wir? Was ist holländisc­h?“

Die Frage der nationalen Identität spaltet Europa. Doch sie verbindet die Literatur Flanderns und der Niederland­e. Jeder aber mit ganz eigenen Geschichte­n.

Bart Moeyart, der künstleris­che Leiter des Gastlandau­ftrittes in Frankfurt, sagt es mit einem Bild. „Wir teilen die Nordseeküs­te“, so der preisgekrö­nte Kinder- und Jugendbuch­autor. Das ist für ihn mehr als ein poetisches Bild. „Das Meer“, sagt er, „ist auch politisch, denken wir an die Flüchtling­e, und es ist nicht immer sanft und schön.“

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DPA-BILD: DEDERT Eine Frau dekoriert auf der 67. Buchmesse in Frankfurt einen Messestand.
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DPA-BILD: SCHMITZ Das Motto der 68. Buchmesse lautet „Dies ist, was wir teilen“.

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