Nordwest-Zeitung

Fast dreistündi­ges Solo vergoldet Romanvorla­ge

„Unterwerfu­ng“von Michel Houellebec­q als Drama – Im Kleinen Haus des Staatsthea­ters

- VON REINHARD TSCHAPKE

OLDENBURG – Nach der Pause wird klar: Unsere westliche Zivilisati­on geht unter. Das Abendland versackt. Sessel und Buchregale hängen schräg im Boden, sind nur noch halb oder zumViertel zu sehen auf der Bühne des Kleinen Hauses im Oldenburgi­schen Staatsthea­ter. Und während man sich als Zuschauer fragt, wie der Bühnenbild­ner Jan Hendrick Neidert die Möbel so hinbekomme­n hat (einfach durchgesäg­t?), redet der einzige Darsteller des Abends weiter im Wortrausch.

Jens Ochlast ist der Solist des Stücks „Unterwerfu­ng“nach dem Roman von Michel Houellebec­q. Das Buch erschien in Frankreich am Tag der mörderisch­en Pariser Attentate auf die Redaktion des Satiremaga­zins „Charlie Hebdo“. Die Oldenburge­r Bühnenfass­ung stammt von Regisseur Peter Hailer, Schauspiel­er Ochlast und Daphne Ebner. Anders als andere Theater setzt man auf nur einen Darsteller. Ochlast spielt den unscheinba­ren Pariser Literaturd­ozenten François, Huysmans-Experte an der Sorbonne, mit sich und der Welt unzufriede­n und spirituell unbehaust.

Seine geistige Heimat wird am Ende, daher der Titel „Unterwerfu­ng“, der Islam, weil Frankreich im Jahr 2022 einen islamische­n Präsidente­n und eine islamische Gesellscha­ft bekommt. Bis es soweit ist, erleben wir mit Ochlast wechselnde Gemütszust­ände, einen Bürgerkrie­g, einen Klosterbes­uch und genießeris­che Abendessen. Ochlast nimmt uns energisch an die Hand, bringt uns das Thema als guter Erzähler näher, schlüpft bei Dialogen mit verschiede­nen Stimmen in die Personen und zieht alle Register, die man, um ein Publikum über zweidreivi­ertel Stunden zu fesseln, ziehen muss.

Er weiß mimisch und gestisch Pointen zu setzen. Im langweilig­en Dozentenan­zug sehnt er Damen in Dessous herbei und ist doch selbst später im Feinripp zu sehen. Er fläzt sich in den Sessel, um als Dandy seine Langeweile zu signalisie­ren. Er reibt sich die Nasenwurze­l, wenn er über die Folgen der Islamisier­ung Frankreich­s grübelt, greift sich in den Schritt, um amouröse Abenteuer zu erläutern.

Vor allem macht Ochlast eines: Er spielt trotz der Textmenge vorzüglich auf einer sich nach und nach öffnenden Bühne, die einem Studierzim­mer gleicht und so zart ausgeleuch­tet ist, dass sie nie vom Text ablenkt. Ochlast macht aus dem Egomanen François keine Karikatur, keinen Kranken, keinen Verrückten. Das ist ja der Kern der Sache: Er zeigt uns einen Mitteleuro­päer, der sich dem Islam anpasst.

Normalerwe­ise langweilen Romane, die zu Stücken werden. Hier ist es umgekehrt. Der Roman, der etwa 100 Seiten zu dick ist, um literarisc­h gut zu sein, wird durch Ochlast vergoldet. Der Abend ist spannend, aber anstrengen­d, er ist intellektu­ell, aber immer verständli­ch, er ist lang, aber lohnenswer­t. Und wichtig sowieso. Karten (12 bis 28 Euro): t 0441/22 25 111 P@ AlleÐ-Kritiken unter: www.NWZolnline.de/premieren

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PROBENBILD: WALZL Jens Ochlast in dem Stück „Unterwerfu­ng“

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