Schon besser – aber noch nicht gut
Fleischbranche zieht ein Jahr nach der Selbstverpflichtung durchwachsene Bilanz
18 Großbetriebe haben angekündigt, bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Für Gewerkschaft und Regierung ist das noch nicht genug.
OLDENBURGER LAND – Es gibt wohl keine zweite Branche in Deutschland, die einen derart ramponierten Ruf hat wie die Fleischwirtschaft. Der Grund dafür sind zahllose Enthüllungen über katastrophale Arbeitsbedingungen für die vorwiegend osteuropäischen Beschäftigten in den Schlachthöfen. Die meisten dieser Arbeiter sind bei – zumeist ebenfalls osteuropäischen – Subunternehmen angestellt, die mit den Schlachthöfen sogenannte Werkverträge abgeschlossen haben.
Entsprechend groß war die Hoffnung, als sechs Branchenriesen vor einem Jahr Besserung gelobten und eine „Selbstverpflichtung der Unternehmen für attraktivere Arbeitsbedingungen“unterzeichneten. Bis Juli 2016, so kündigten sie an, sollen alle in ihren Häusern eingesetzten Arbeiter in einem in Deutschland gemeldeten, sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stehen. Zwölf weitere Betriebe schlossen sich der Selbstverpflichtung an.
Jetzt hat der „Sozialpolitische Ausschuss der Fleischwirtschaft“(SPA) Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) den ersten Umsetzungsbericht überreicht und meldet: „Die Branche hat die Selbstverpflichtung zu 100 Prozent erfüllt.“
„Ein Meilenstein“
Laut dem Bericht haben seither 8148 ausländische Beschäftigte, die bisher sogenannte Entsendete waren, einen deutschen Arbeitsvertrag erhalten. Das bedeutet: Die Arbeiter sind nun in Deutschland kranken-, arbeitslosen- und rentenversichert. Damit habe die Branche „den dritten wichtigen Meilenstein erfolgreich umgesetzt“, freut sich Theo Egbers, der Vorsitzende des SPA Fleischwirtschaft. Die ersten beiden Meilensteine waren Egbers zufolge die Einführung des Branchenmindestlohns (derzeit 8,60 Euro) und die Verabredung von Standards für die Unterbringung von Arbeitern. Alles gut also in deutschen Schlachthäusern? Nein. Zwar sind die Arbeiter nun nach deutschem Recht angestellt – die Fleischbranche hält aber wie gehabt an der umstrittenen Praxis der Werkverträge fest. Laut dem Bericht stieg das Verhältnis der selbst bei den Unternehmen angestellten Arbeitnehmer nur minimal von 43,3 auf 45 Prozent. Alle anderen arbeiten weiter als Leih- oder als Werkvertragsarbeiter.
Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) sieht damit das „Hauptproblem“weiter ungelöst. „Entstanden ist ein Sys- tem von Sub- und SubsubUnternehmen, um Menschen in prekärer Beschäftigung auszubeuten und die Mitbestimmung zu umgehen“, kritisiert der stellvertretende NGG-Vorsitzenden Claus-Harald Güster. Er fordert die Unternehmen auf, die Stammbelegschaft zu erhöhen und Tarifverträge abzuschließen: „Nur Tarifverträge bieten verlässliche Standards und sind verbindlich. Selbstverpflichtungen sind es nicht.“
Auch Minister Gabriel nennt das bislang Erreichte lediglich einen „Zwischenschritt“. Er lobt zwar die „Verbesserung der konkreten Lebenssituation Tausender Werkvertragsmitarbeiter“, mahnt aber gleichzeitig an, „die Bemühungen beim zugesagten Aufbau der eigenen Stammbelegschaft zu verstärken“. Dass Gabriel die Probleme keineswegs gelöst sieht, zeigt sich auch in seiner Ankündigung, „zusätzliche entsprechende Beratungsstellen“für Beschäftigte in der Fleischbranche zu fördern.
Derweil weist die Fleischwirtschaft daraufhin, dass be- reits die Umstellung auf deutsche Arbeitsverträge „nicht in allen Bereichen ohne Konflikte“verlaufen sei. Zahlreiche ausländische Mitarbeiter hätten sich zunächst gewehrt, weil sie kein Interesse hätten, in das deutsche Rentensystem einzuzahlen, und weil die höheren deutschen Sozialabgaben Einbußen beim Nettoeinkommen bedeuteten. Insgesamt sind nach Branchenangaben „deutlich über 100 000 Arbeitnehmer“in der industriellen Fleischwirtschaft beschäftigt. Die 18 Unternehmen, die die Selbstverpflichtung unterzeichnet haben, decken nach eigenen Angaben in der Schweineschlachtung 65 Prozent des Marktes ab, im Rinderbereich 45 Prozent und bei Geflügel 36 Prozent.
Zentrum im Nordwesten
Das Zentrum der Fleischwirtschaft sitzt im Nordwesten: Drei der Erstunterzeichner der Selbstverpflichtung haben ihren Stammsitz imOldenburg Land (Danish Crown in Essen/Oldenburg, Heidemark in Ahlhorn, PHW in Visbek), die anderen drei haben Standorte in der Region ( Tönnies in Wilhelmshaven und Sögel, Vion in Emstek und Holdorf, Westfleisch in Bakum). Von den zwölf weiteren Unterzeichnern, zumeist etwas kleinere Unternehmen, sitzen drei in Weser-Ems: Steinemann in Steinfeld, Tulip in Oldenburg und die Tulip Food Company in Dinklage.
Für den niedersächsischen Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) stand übrigens schon Tage vor Abgabe des Umsetzungsberichts fest, dass die Selbstverpflichtung der Branche nicht ausreicht. „Wir wissen, dass der Anteil von Werkvertragsbeschäftigen in einigen Schlachthöfen noch immer bei 80 Prozent liegt“, sagte Lies. Wenn sich das nicht bald ändere, sehe er die Bundesregierung in der Pflicht, die gesetzlichen Regeln weiter zu verschärfen.