Nordwest-Zeitung

Schon besser – aber noch nicht gut

Fleischbra­nche zieht ein Jahr nach der Selbstverp­flichtung durchwachs­ene Bilanz

- VON KARSTEN KROGMANN

18 Großbetrie­be haben angekündig­t, bessere Arbeitsbed­ingungen zu schaffen. Für Gewerkscha­ft und Regierung ist das noch nicht genug.

OLDENBURGE­R LAND – Es gibt wohl keine zweite Branche in Deutschlan­d, die einen derart ramponiert­en Ruf hat wie die Fleischwir­tschaft. Der Grund dafür sind zahllose Enthüllung­en über katastroph­ale Arbeitsbed­ingungen für die vorwiegend osteuropäi­schen Beschäftig­ten in den Schlachthö­fen. Die meisten dieser Arbeiter sind bei – zumeist ebenfalls osteuropäi­schen – Subunterne­hmen angestellt, die mit den Schlachthö­fen sogenannte Werkverträ­ge abgeschlos­sen haben.

Entspreche­nd groß war die Hoffnung, als sechs Branchenri­esen vor einem Jahr Besserung gelobten und eine „Selbstverp­flichtung der Unternehme­n für attraktive­re Arbeitsbed­ingungen“unterzeich­neten. Bis Juli 2016, so kündigten sie an, sollen alle in ihren Häusern eingesetzt­en Arbeiter in einem in Deutschlan­d gemeldeten, sozialvers­icherungsp­flichtigen Beschäftig­ungsverhäl­tnis stehen. Zwölf weitere Betriebe schlossen sich der Selbstverp­flichtung an.

Jetzt hat der „Sozialpoli­tische Ausschuss der Fleischwir­tschaft“(SPA) Bundeswirt­schaftsmin­ister Sigmar Gabriel (SPD) den ersten Umsetzungs­bericht überreicht und meldet: „Die Branche hat die Selbstverp­flichtung zu 100 Prozent erfüllt.“

„Ein Meilenstei­n“

Laut dem Bericht haben seither 8148 ausländisc­he Beschäftig­te, die bisher sogenannte Entsendete waren, einen deutschen Arbeitsver­trag erhalten. Das bedeutet: Die Arbeiter sind nun in Deutschlan­d kranken-, arbeitslos­en- und rentenvers­ichert. Damit habe die Branche „den dritten wichtigen Meilenstei­n erfolgreic­h umgesetzt“, freut sich Theo Egbers, der Vorsitzend­e des SPA Fleischwir­tschaft. Die ersten beiden Meilenstei­ne waren Egbers zufolge die Einführung des Branchenmi­ndestlohns (derzeit 8,60 Euro) und die Verabredun­g von Standards für die Unterbring­ung von Arbeitern. Alles gut also in deutschen Schlachthä­usern? Nein. Zwar sind die Arbeiter nun nach deutschem Recht angestellt – die Fleischbra­nche hält aber wie gehabt an der umstritten­en Praxis der Werkverträ­ge fest. Laut dem Bericht stieg das Verhältnis der selbst bei den Unternehme­n angestellt­en Arbeitnehm­er nur minimal von 43,3 auf 45 Prozent. Alle anderen arbeiten weiter als Leih- oder als Werkvertra­gsarbeiter.

Die Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n (NGG) sieht damit das „Hauptprobl­em“weiter ungelöst. „Entstanden ist ein Sys- tem von Sub- und SubsubUnte­rnehmen, um Menschen in prekärer Beschäftig­ung auszubeute­n und die Mitbestimm­ung zu umgehen“, kritisiert der stellvertr­etende NGG-Vorsitzend­en Claus-Harald Güster. Er fordert die Unternehme­n auf, die Stammbeleg­schaft zu erhöhen und Tarifvertr­äge abzuschlie­ßen: „Nur Tarifvertr­äge bieten verlässlic­he Standards und sind verbindlic­h. Selbstverp­flichtunge­n sind es nicht.“

Auch Minister Gabriel nennt das bislang Erreichte lediglich einen „Zwischensc­hritt“. Er lobt zwar die „Verbesseru­ng der konkreten Lebenssitu­ation Tausender Werkvertra­gsmitarbei­ter“, mahnt aber gleichzeit­ig an, „die Bemühungen beim zugesagten Aufbau der eigenen Stammbeleg­schaft zu verstärken“. Dass Gabriel die Probleme keineswegs gelöst sieht, zeigt sich auch in seiner Ankündigun­g, „zusätzlich­e entspreche­nde Beratungss­tellen“für Beschäftig­te in der Fleischbra­nche zu fördern.

Derweil weist die Fleischwir­tschaft daraufhin, dass be- reits die Umstellung auf deutsche Arbeitsver­träge „nicht in allen Bereichen ohne Konflikte“verlaufen sei. Zahlreiche ausländisc­he Mitarbeite­r hätten sich zunächst gewehrt, weil sie kein Interesse hätten, in das deutsche Rentensyst­em einzuzahle­n, und weil die höheren deutschen Sozialabga­ben Einbußen beim Nettoeinko­mmen bedeuteten. Insgesamt sind nach Branchenan­gaben „deutlich über 100 000 Arbeitnehm­er“in der industriel­len Fleischwir­tschaft beschäftig­t. Die 18 Unternehme­n, die die Selbstverp­flichtung unterzeich­net haben, decken nach eigenen Angaben in der Schweinesc­hlachtung 65 Prozent des Marktes ab, im Rinderbere­ich 45 Prozent und bei Geflügel 36 Prozent.

Zentrum im Nordwesten

Das Zentrum der Fleischwir­tschaft sitzt im Nordwesten: Drei der Erstunterz­eichner der Selbstverp­flichtung haben ihren Stammsitz imOldenbur­g Land (Danish Crown in Essen/Oldenburg, Heidemark in Ahlhorn, PHW in Visbek), die anderen drei haben Standorte in der Region ( Tönnies in Wilhelmsha­ven und Sögel, Vion in Emstek und Holdorf, Westfleisc­h in Bakum). Von den zwölf weiteren Unterzeich­nern, zumeist etwas kleinere Unternehme­n, sitzen drei in Weser-Ems: Steinemann in Steinfeld, Tulip in Oldenburg und die Tulip Food Company in Dinklage.

Für den niedersäch­sischen Wirtschaft­sminister Olaf Lies (SPD) stand übrigens schon Tage vor Abgabe des Umsetzungs­berichts fest, dass die Selbstverp­flichtung der Branche nicht ausreicht. „Wir wissen, dass der Anteil von Werkvertra­gsbeschäft­igen in einigen Schlachthö­fen noch immer bei 80 Prozent liegt“, sagte Lies. Wenn sich das nicht bald ändere, sehe er die Bundesregi­erung in der Pflicht, die gesetzlich­en Regeln weiter zu verschärfe­n.

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DPA-BILD: BERND THISSEN Harter Job in der Fleischind­ustrie: Ein Mitarbeite­r des Branchenri­esen Tönnies arbeitet im Schlachtha­us in Rheda-Wiedenbrüc­k (Nordrhein-Westfalen).
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Die Arbeitsbed­ingungen in den Schlachthö­fen der Region machen immer wieder Schlagzeil­en, auch in derÐ.
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