Nordwest-Zeitung

Bombenwerk­statt im Plattenbau

Politik sieht Deutschlan­d im Fadenkreuz des islamische­n Terrors

- VON RASMUS BUCHSTEINE­R, BÜRO BERLIN

BERLIN/CHEMNITZ/HANNOVER – Samstagmor­gen, 7.04 Uhr in Chemnitz – eigentlich wollten die Ermittler jetzt zugreifen, doch Dschaber al-Bakr entwischt ihnen buchstäbli­ch in letzter Minute. Noch nicht lange hatten sie den Plattenbau in der Straße Usti na Labem in einem Wohnvierte­l der sächsische­n Stadt observiert. Jetzt geben sie noch einen Warnschuss ab. Doch der mutmaßlich­e Terrorist entkommt. „Wir waren dabei, den Zugriff vorzuberei­ten, als der Verdächtig­e das Haus verließ“, berichtet ein Sprecher des Landeskrim­inalamts.

Terror-Alarm in Chemnitz: Anwohner werden evakuiert, in der Wohnung eines Verdächtig­en werden später Hunderte Gramm Sprengstof­f gefunden. Gefährlich­er als TNT, wie es von den Ermittlern heißt. Am späten Nachmittag wird er kontrollie­rt zur Explosion gebracht. „Seid vorsichtig“, twittert die Polizei.

Bei dem Sprengstof­f handelt es sich offenbar um extrem gefährlich­es Material. Azetonpero­xid (TATP) kann aus frei erhältlich­en Rohstoffen hergestell­t werden und ist wirksamer als Dynamit. Sprengstof­fexperten weisen darauf hin, dass es einer Ausbildung bedarf, um die Synthese des Stoffes zu beherrsche­n.

Die Hinweise auf den 22jährigen Syrer al-Bakr und Planungen für einen Sprengstof­fanschlag waren vom Bundesamt für Verfassung­sschutz gekommen und als ernst und vertrauens­würdig eingestuft worden. Die Rede ist nicht nur von Kontakten zum Islamische­n Staat (IS), sondern auch von einer Ausbildung durch die Terrormili­z. Im Internet habe er sich nach Anleitunge­n zum Bau von Bomben informiert und entspreche­nde Materialie­n beschafft, heißt es in Medienberi­chten.

Das ganze Wochenende läuft eine großangele­gte Fahndung, nicht nur in Chemnitz, sondern bundesweit: Die Anti-Terror-Einheit GSG9 wird hinzugezog­en. AlBakr, geboren 1994 in einem Vorort von Syriens Hauptstadt Damaskus, soll erst im Februar 2015 nach Deutschlan­d eingereist sein. Der Mann sei hier als Flüchtling anerkannt, berichtet eine Sprecherin des Landeskrim­inalamtes.

Erst im September waren drei junge Syrer in Hannover wegen Terrorverd­achts festgenomm­en worden. Sie hätten Verbindung­en zu den Anschlägen in der französisc­hen Hauptstadt am 13. November 2015 gehabt. Ermittlung­en hatten ergeben, dass sie von denselben Schleppern eingeschle­ust worden seien wie die Täter von Paris, erklärte Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) damals. Auch stammten ihre Ausweispap­iere mit großer Wahrschein­lichkeit aus derselben Fälscherwe­rkstatt. Die Terrorverd­ächtigen seien im November 2015 über die Balkanrout­e nach Deutschlan­d eingereist und hatten sich als Flüchtling­e ausgegeben.

Mit Zurückhalt­ung und Sorge reagieren die politisch Verantwort­lichen in Berlin auf den Anti-Terror-Einsatz in Chemnitz. Vom Bundesinne­nministeri­um gab es keinen Kommentar zu den laufenden Ermittlung­en. Deutschlan­d stehe „unveränder­t im Fadenkreuz des internatio­nalen Terrorismu­s“. Ereignisse wie in Ansbach, Würzburg oder Chemnitz würden diese Gefährdung­slage konkretisi­eren. „Sie zeigen, dass wir solche Taten – wie wir sie letztlich in Frankreich und Belgien gesehen haben – in Deutschlan­d nicht ausschließ­en können“, sagte ein Sprecher von de Maizière. „Sie zeigen gleichzeit­ig, dass unsere Sicherheit­sbehörden sehr wachsam sind.“

Der innenpolit­ische Sprecher der SPD im Bundestag, Burkhard Lischka, lobt die Ermittler. Dass sie Dschaber alBakr im Visier gehabt hätten, sei „als Erfolg und Beleg einer profession­ellen Arbeit unserer Sicherheit­sbehörden zu werten“.

 ?? AP-BILD: MEYER ?? Polizisten verlassen nach dem Anti-Terror-Einsatz in Chemnitz einen Plattenbau.
AP-BILD: MEYER Polizisten verlassen nach dem Anti-Terror-Einsatz in Chemnitz einen Plattenbau.

Newspapers in German

Newspapers from Germany