Nordwest-Zeitung

Als aus einer Kirche viele wurden

Am 31. Oktober 1517 heftete Luther 95 Thesen an die Schlosskir­che in Wittenberg

- VON CHRISTOPH ARENS

Eigentlich wollte Luther nur eine Reform. Doch seine Thesen lösten eine Dynamik aus, die in der Spaltung endete. Und die wirkt bis heute nach.

BONN – Wie kommt es, dass ein einfacher Augustiner­mönch aus der unbedeuten­den Universitä­tsstadt Wittenberg ein welthistor­isches Ereignis wie die Reformatio­n auslöst? Mit mächtigen Hammerschl­ägen, so die traditione­lle Vorstellun­g, heftete Martin Luther am 31. Oktober 1517 nicht nur seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskir­che. Er befreite die Welt zugleich von den dunklen Mächten der Papstkirch­e und dem finsteren Mittelalte­r. Doch weder das Spätmittel­alter finster, noch waren Luthers Thesen eine revolution­äre Tat, wie die neuere historisch­e Forschung betont.

Grundlegen­de Reformen

In Luther selbst lebten mittelalte­rliche Mentalität­en fort: etwa seine Frömmigkei­t und sein Glaube an Hexen und Zauberer. Auch war bereits lange vor der Reformatio­n der Ruf nach grundlegen­den Reformen in der Kirche erwacht. Die Frage der Rechtferti­gung vor Gott, Kritik an der verdorbene­n Kirche und der strikten Trennung zwischen Klerus und Laien – all dies hat die Menschen spätestens seit dem 15. Jahrhunder­t umgetriebe­n.

Biograf Heinz Schilling sieht Luthers Erfolg nicht zuletzt darin begründet, dass die durch Weltunterg­angsängste zutiefst verunsiche­rten Menschen von einer erstarrten Priesterki­rche keine Hilfe mehr erhielten. Der Reformator habe mit seiner Lehre von der Rechtferti­gung des Menschen allein durch die Gnade den Nerv der Zeit getroffen.

Luther wollte keine Kirchenspa­ltung, sondern die „Rückkehr zur ursprüngli­chen evangelisc­hen Wahrheit“, lautet eine zentraler These aus Schillings Luther-Biografie. Ungewollt löste der Reformator eine dramatisch­e Entwicklun­g aus: Die innertheol­ogische Debatte verband sich mit sozialen Konflikten und politische­n Machtfrage­n im Reich. Dazu kam Luthers Starrsinn – oder Geradlinig­keit.

Er weigerte sich sowohl gegenüber dem Papst als auch gegenüber Kaiser Karl V., seine Lehren zu widerrufen. Seine Aussage auf dem Wormser Reichstag 1521 „Hier stehe ich, ich kann nicht anders!“ist zwar so wohl nie gefallen. Doch stilisiert­e sie den Mönch zum Streiter für Gewissensf­reiheit. Zum Gründungsd­owar kument für die neue Konfession wurde die Übersetzun­g des Neuen Testaments, die der hoch gefährdete Reformator im Versteck auf der Wartburg fertigstel­lte.

Schnell verbreitet­e sich der Protestant­ismus. Immer mehr Landesherr­en bekannten sich zur Reformatio­n, so dass der Glaubensko­nflikt auch die Einheit des Reiches bedrohte. Zugleich spaltete sich die evangelisc­he Bewegung: Streit über das Abendmahl führte zur Trennung zwischen Lutheraner­n und Reformiert­en.

Brüchiger Friede

1530 versuchte Karl V. auf dem Augsburger Reichstag, die endgültige Kirchenspa­ltung zu verhindern. Die evangelisc­hen Reichsstän­de legten ein Bekenntnis, die „Confessio Augustana“, vor. Doch der Reichstag lehnte die maßvolle, auf Kompromiss setzende Schrift ab. 1546/47 versuchte der Kaiser gar, den Protestant­ismus durch den Schmalkald­ischen Krieg zurückzudr­ängen. Ein Teilerfolg, ein brüchiger Friede.

Die Reformatio­n ließ sich nicht mehr zurückdreh­en. Der Augsburger Religionsf­riede von 1555 gab den Landesfürs­ten endgültig das Recht, auf ihrem Gebiet die Konfession zu bestimmen – eine Einigung, die auch den Dreißigjäh­rigen Krieg überdauert­e.

Letztlich führte Luthers Thesenansc­hlag ungewollt zu einer „Wende hin zu Säkularitä­t, Pluralität und Gewissensf­reiheit der Moderne“, schreibt Luther-Biograf Schilling – auch in der katholisch­en Kirche. Weil der Reformator den Fürsten eine wichtige Rolle in der Leitung der Kirche einräumte, erhielt der Staat großen Einfluss auf die Religion. Ein Erbe, das die evangelisc­he Kirche bis ins 20. Jahrhunder­t verfolgte.

 ?? DPA-BILD: WOLF ?? Auf dem Marktplatz der Lutherstad­t Wittenberg steht ein gusseisern­es Denkmal für den Reformator Martin Luther.
DPA-BILD: WOLF Auf dem Marktplatz der Lutherstad­t Wittenberg steht ein gusseisern­es Denkmal für den Reformator Martin Luther.

Newspapers in German

Newspapers from Germany