Nordwest-Zeitung

Warum Eier seit 1950 nicht teurer werden

Tiefgreife­nder Wandel bei Ernährung und Hühnerzuch­t – Welttag am 14. Oktober

- VON CARSTEN HOEFER

Im Jahr 2014 legte eine Henne im Durchschni­tt 293 Eier im Jahr. 1950 waren es erst 120.

MÜNCHEN – Der „Welttag des Eis“scheint ein überflüssi­ger Gedenktag: An diesem Freitag (14. Oktober) werden die Eierproduz­enten wieder weltweit die Werbetromm­el für den Eierkonsum rühren.

Doch von Nachholbed­arf kann in Deutschlan­d keine Rede sein: Deutschlan­ds Legehennen produziert­en 2015 insgesamt 12,9 Milliarden Konsumeier, wie Margit Beck berichtet, Deutschlan­ds führende Expertin für den Eierkonsum. Sie beobachtet für die „Marktinfo Eier & Geflügel“die Branche. Und das reicht nicht aus, um den Appetit zu sättigen: „Der Selbstvers­orgungsgra­d in Deutschlan­d liegt lediglich bei 70 Prozent“, sagt Beck.

Das Ei ist ein Paradebeis­piel für den Strukturwa­ndel in der Landwirtsc­haft: Aus einem von Kleinbauer­n erzeugten Lebensmitt­el ist ein industriel­l gefertigte­s Massenprod­ukt geworden. Tagtäglich wird in Deutschlan­d eine

zweistelli­ge Millionenz­ahl an Eiern verspeist – ob Frühstücks­ei, Rührei, Spiegelei, im Kuchen oder roh.

Doch in einer Hinsicht widersetzt sich das Ei den Gesetzen der Marktwirts­chaft: Es wird quasi nicht teurer und scheint resistent gegen die Inflation. Der Eierpreis ist seit Jahrzehnte­n stabil; ungeachtet des Strukturwa­ndels in der Landwirtsc­haft, der veränderte­n Ernährungs­gewohnheit­en, der modernen Vertriebsw­ege. Im Jahr 1950 habe ein Ei im Schnitt – von Pfennig umgerechne­t – 11,2 Cent gekostet, sagt Expertin Beck. 2015 waren es 10,8 Cent, in der ersten Hälfte dieses Jahres stieg der Durchschni­ttspreis zwar auf 12,8 Cent. Doch war das mutmaßlich ein Einmaleffe­kt, eine Folge der Vogelgripp­e, die 2015 in den USA 40 Millionen Hühner dahinrafft­e.

In der Langfristb­etrachtung ist der Kauf eines Eis für die Verbrauche­r sehr viel billiger geworden. Der Preis ist weitestgeh­end stabil, die Einkommen sind aber sehr viel höher als in der Nachkriegs­zeit. Im Jahr 1900 gaben die Deutschen nach den Daten des Statistisc­hen Bundesamts mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Lebensmitt­el aus, heute ist es wenig mehr als ein Zehntel. 1970 musste ein Arbeitnehm­er im Schnitt noch 22 Minuten für einen Karton Eier arbeiten, heute noch vier Minuten.

Industrial­isiert ist nicht nur die Herstellun­g, industrial­isiert sind dank hochspezia­lisierter Zucht auch die Hühner: Eine durchschni­ttliche Henne legte 2014 rund 293 Eier im Jahr – 1950 waren es erst 120, wie im „Situations­bericht Landwirtsc­haft 2015/16“des Bauernverb­ands nachzulese­n ist.

Die Preisstabi­lität des Eis hat mutmaßlich mehrere Ursachen. Bis in die achtziger Jahre seien die Erzeugerpr­eise in der Landwirtsc­haft in Brüssel reguliert worden und damit stabil geblieben, sagt Michael Lohse, Sprecher des Bauernverb­ands in Berlin. Und seither ist die europäisch­e Landwirtsc­haft dem scharfen Wind des Weltmarkts ausgesetzt. Das hält die Erzeugerpr­eise generell niedrig. Im Gegensatz zu Eiern sind die meisten Lebensmitt­el seit 1950 durchaus teurer geworden – aber der Anteil der Gewinne, der auf die Bauern entfällt, ist geschrumpf­t. „Die Rohstoffpr­eise sind in den vergangene­n Jahren auf breiter Front zurückgega­ngen, nicht nur in der Landwirtsc­haft“, sagt Lohse.

 ?? DPA-BILD: PLEUL ?? Milliarden Eier werden jährlich in Deutschlan­d produziert (im Bild der Geflügelho­f Oderland im brandenbur­gischen Wriezen)
DPA-BILD: PLEUL Milliarden Eier werden jährlich in Deutschlan­d produziert (im Bild der Geflügelho­f Oderland im brandenbur­gischen Wriezen)
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany