Zunehmend glücklicheres Leben
Nicole Jäger hat 170 Kilo verloren – Ohne Diät
340 Kilo hat die Autorin und Ernährungsberaterin auf die Waage gebracht. In Oldenburg erzählt sie kabarettistisch auf der Bühne ihre Geschichte.
FRAGE: Frau Jäger, nervt es Sie immer nach Gewicht und Abnehmen gefragt zu werden? JÄGER: Manchmal ist das anstrengend – weil ich 1000 mal die gleichen Antworten geben muss. Natürlich ist das Gewicht mein Lebensthema. Aber ich bin auch noch mehr als nur dick. FRAGE: Was sind Sie noch? JÄGER: Ein Mensch. Eine Frau. Ein Rosenkohlhasser. Ein Freigeist. Eine Kabarettistin. FRAGE: Werden die Leute Sie mit weniger Kilos anders wahrnehmen? JÄGER: Vollkommen utopisch. Ich werde immer übergewichtig sein. Ich bin keine Schlanke im Körper einer Dicken. Mein Idealgewicht liegt bei 64 Kilo. Da komme ich nie hin. Will ich auch gar nicht. FRAGE: Sondern? JÄGER: 120 bis 125 Kilo sind mein Ziel. Einfach, weil es so eine schöne Zahl ist. Wenn ich dann noch Bock habe, versuche ich auf 99 Kilo zu kommen. Einmal zweistellig. Dann mache ich den Sack zu. FRAGE: Finden Sie sich schön? JÄGER: Ja. Punkt. FRAGE: Immer schon? JÄGER: Nein. Mit 340 Kilo habe ich mich gar nicht schön gefunden. Das Gefühl von heute – vor dem Spiegel stehen und mich zu mögen mit all meiner Unvollkommenheit – habe ich mir hart erkämpft. FRAGE: Mit Diäten? JÄGER: Damit schon gar nicht. Diäten bringen nix – ich hab’ alle durch. FRAGE: Ein Geheimrezept? JÄGER: Hätte ich gerne. Wenn ich es kennen würde, wäre ich Milliadärin und läge auf Mauritius in der Hängematte, statt mit meinem Kabarettprogramm durchs Land zu touren und Interviews zu geben. Aber ich mach es ja gerne. FRAGE: Aber irgendwie müssen Sie die 170 Kilo ja runter gekriegt haben... JÄGER: Mit regelmäßigem Essen. Das weiß im Grunde jeder. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen, sich selbst zu hinterfragen. Mit Menschen, die zu mir in die Praxis kommen, spreche ich zuerst über den Unterschied zwischen Hunger und Appetit. Wenn man das auseinanderhalten kann, muss man sich fragen „warum esse ich das jetzt, welche Lücke füllt das?“. FRAGE: Können Sie Essen vom Emotionen trennen? JÄGER: Meistens. FRAGE: Und ohne schlechtes Gewissen genießen? JÄGER: Oft. Völlig unbeschwert wird es nie sein. Ich habe eine Essstörung. Wie ein trockener Alkoholiker. Nur kann ich nicht abstinent le- ben. Aber ich belohne mich nicht mehr mit Nahrung. Und wenn schon, dann sollen die Kalorien auch schmecken. Ich esse auch mal Pizza. Aber eine. Keine drei. FRAGE: Wie fühlt es sich an satt zu sein? JÄGER: Super. Früher kannte ich nur Hunger. Oder Magenschmerzen. Heute frage ich mich beim Essen „wäre es okay, wenn dir jetzt jemand den Teller wegnimmt?“, wenn es okay ist, höre ich auf. Dieses Fragen und Hinterfragen gehört dazu. Auch, wenn es anstrengend ist. FRAGE: Erinnern Sie sich an eine Zeit, in der essen einfach nur Nahrungsaufnahme war? JÄGER: Die gab es nie. Mit fünf Jahren haben mich meine Eltern das erste Mal auf eine Kur geschickt. Dabei war ich nicht dick, nur ein bisschen mehr. Das hat mein Verhältnis zum Essen total verkorkst. FRAGE: Geben Sie Ihren Eltern die Schuld? JÄGER: Ich gebe keinem die Schuld. Nur mir selbst. Ich bin erwachsen, ich stecke mir das Essen in den Mund. Natürlich werden Anlagen, eine Essstörung zu entwickeln, in der Kindheit gelegt. Aber man kann was tun, um nicht mit 30 im Sarg zu liegen. Ich will einfach noch mehr erleben – ohne Einschränkungen. FRAGE: Und Gaffer? Wie gehen Sie mit Beleidigungen um? JÄGER: Die Blicke versuche ich anders zu nehmen – nicht so persönlich. Wer sich immer angegriffen fühlt, hat ein anstrengendes Leben. FRAGE: War ihr Schutzschicht? JÄGER: Definitiv. Mit jedem Kilo weniger bin ich sensibler geworden. Und angreifbarer. FRAGE: Was schützt Sie heute? Ihr Humor? JÄGER: Ich verstecke mich nicht dahinter. Humor ist eine gute Art, die Wahrheit zu sagen. Fett eine
Ich gebe keinem die Schuld. Nur mir selbst. Ich bin erwachsen, ich stecke mir das Essen in den Mund. NICOLE JÄGER
Auch, wenn es traurig ist, kann ich über mich lachen. Und wenn ich die Reaktionen meines Publikums sehe, geht es anderen auch so. Allerdings bin ich auch nicht von morgens bis abends witzig. FRAGE: Wie witzig sind Normalgewichte, die abnehmen wollen? JÄGER: Ich kann das verstehen. Wer sich mit seinem Körper nicht wohlfühlt, ist nicht glücklich. Glücklichsein ist das Hauptthema. FRAGE: Glückliche sind okay? JÄGER: Solange sie nicht krank sind. Was ist so schlimm daran, übergewichtig zu sein? FRAGE: Wenn Sie Morgen mit Ihrem Wunschgewicht aufwachen würden... JÄGER: ...wäre ich fertig mit dem Abnehmen. 120 Kilo. Und hätte ich weniger Arbeit mit meinen Haaren. FRAGE: Und würden nicht mehr nach Ihrem Gewicht gefragt... JÄGER: ...sondern nach meinen Gefühlen. Adipöse