Nordwest-Zeitung

Sachsens Justiz in Erklärungs­not

- VON ALEXANDER WILL

DRESDEN/DPA – Zahlreiche Ungereimth­eiten beim Suizid des Terrorverd­ächtigen Dschaber al-Bakr in einem Leipziger Gefängnis bringen Sachsens Justiz in Erklärungs­not. Der als hochgefähr­lich eingestuft­e Syrer war am Mittwoch in seiner Zelle erhängt aufgefunde­n worden. Parteiüber­greifend wurde Kritik daran laut, dass die Verantwort­lichen nicht erkannten, dass er sich das Leben nehmen könnte.

Die Affäre um die Terroriste­njagd in Sachsen wird zu einem Panoptikum deutscher Zustände. Grell werden da die Lage des Staates und die Geistesver­fassung seiner Bürger beleuchtet. Es ist kein freundlich­es Bild.

Als in der Nacht zum Donnerstag der Selbstmord des syrischen Bomben-Bauers Dschaber al-Bakr bekannt wurde, überschlug­en sich die sozialen Netzwerke wie Facebook und Twitter. Die Lufthoheit hatten Verschwöru­ngstheoret­iker, die schnell von staatliche­m Mord fabulierte­n und geradezu zwanghaft Parallelen zum Tode der RAF-Terroriste­n in Stuttgart-Stammheim vor fast 40 Jahren konstruier­ten. Aber es waren eben nicht nur notorische Aluhut-Träger, die da, von tiefstem Misstrauen gegen den Staat beseelt, ihre Kommentare ins Netz jagten. Dass sich unter den Augen der Justiz der Hauptverdä­chtige in einem spektakulä­ren Terrorfall einfach so in seiner Zelle aufhängen konnte, kam so manchem Normalbürg­er derart absurd vor, dass nicht nur das Wort „Bananenrep­ublik“allgegenwä­rtig war, sondern auch Verschwöru­ngstheorie­n fröhliche Urständ feierten. Man kann das fast schon verstehen.

Längst häuft sich staatliche­s Versagen in einem Ausmaß, dass Vertrauens­schwund eine natürliche Folge ist. In Sachsen sehen Polizei und Justiz seit Monaten nicht gut aus. Im August verlieren Polizisten mitten in einer Großstadt eine Maschinenp­istole, die Anschläge linker Terrorgrup­pen auf Bundeswehr­fahrzeuge werden nicht aufgeklärt, in Leipzig liefern sich Linke und Rechte Straßensch­lachten, ein ganzer Stadtbezir­k verkommt zu einem linksradik­alen Refugium – und nun der Selbstmord, der auf eine Kombinatio­n von Schlampere­i und profession­ellen Fehlleistu­ngen zurückzufü­hren ist. Aber auch anderswo blamiert sich der Staat: In Niedersach­sen verschlamp­en Behörden Warnungen vor dem Terrormädc­hen Safia S. Die Behörden mehrerer Länder machen in der NSU-Affäre eine erbärmlich­e Figur, und die Asylkrise der vergangene­n Monate riecht so manchem Deutschen verdächtig nach Staatsvers­agen.

Die Al-Bakr-Affäre offenbart also eine tiefe Vertrauens­krise zwischen den Bürgern und ihrem Staat, wie es sie in den Jahren seit 1949 kaum jemals gegeben hat. Das ist etwas, worüber man sich wirklich Sorgen machen muss.

@ Den Autor erreichen Sie unter Will@infoautor.de

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