Nordwest-Zeitung

Bosbach fordert faire Bewertung des Falls

TERROR Innenexper­te sieht aber Fehleinsch­ätzungen bei Inhaftieru­ng von Dschaber al-Bakr

- VON ANDREAS HERHOLZ, BÜRO BERLIN

FRAGE: Herr Bosbach, der terrorverd­ächtige Syrer Dschaber al-Bakr hat sich in seiner Zelle in der Leipziger Justizvoll­zugsanstal­t erhängt. Haben hier Justiz und Anstaltspe­rsonal versagt? BOSBACH: So werden es viele sehen. Aber bei allem Unverständ­nis über dieses tragische Ereignis sollte man in dessen Bewertung fair bleiben: Ja, es gab offenbar Fehleinsch­ätzungen. Aber man hat sich wohl auf die Expertise einer erfahrenen Psychologi­n verlassen und sah auch die rechtliche­n Voraussetz­ungen für die Unterbring­ung in einem besonderen Haftraum als nicht gegeben an. FRAGE: Die Verantwort­lichen haben vor der Presse erklärt, dass keine Suizidgefa­hr erkennbar war und es keine Fehler des JVA-Personals gegeben habe. Teilen Sie diese Bewertung? BOSBACH: Die Suizidgefa­hr war bekannt, hierauf hat wohl auch der Haftrichte­rin ausdrückli­ch hingewiese­n. Vor diesem Hintergrun­d bleibt die Frage: Warum wurde nach dem Vorfall mit der Lampe und dem Stromlossc­halten der Haftzelle keine Sitzwache angeordnet? FRAGE: Warum gab es bei einem für die Terrorbekä­mpfung derart wichtigen Inhaftiert­en keine intensiver­e Überwachun­g? BOSBACH: Gute Frage! Angesichts der Bedeutung des Tatvorwurf­s und der gesamten Umstände wäre eine lückenlose Überwachun­g des Häftlings nicht unverhältn­ismäßig gewesen. Und wenn Videoüberw­achung und anderweiti­ge Unterbring­ung nicht möglich oder nicht zulässig sind, dann eben durch eine permanente Sitzwache. FRAGE: Hätte al-Bakr nicht eigentlich in Karlsruhe beim Bundesanwa­lt sein müssen, weil hier der Verdacht auf eine staatsgefä­hrdende Straftat bestand? BOSBACH: Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Überstellu­ng erfolgen sollte. Wem will man hier einen Vorwurf machen? FRAGE: Einmal mehr heißt es seitens der Sicherheit­sbehörden und der Justiz, es habe keine Fehler gegeben. Kritiker sprechen dagegen von Staatsvers­agen. Wie bewerten Sie die Erklärunge­n der Verantwort­lichen? BOSBACH: Die Erklärunge­n entsprache­n zu 100 Prozent meinen Erwartunge­n. Auch wenn der Suizid aus mehreren Gründen wirklich tragisch ist, sind sich die Verantwort­lichen sicher, dass keine Fehler gemacht wurden. FRAGE: In der JVA hat es nicht einmal einen Dolmetsche­r gegeben, um sich mit dem Inhaftiert­en zu verständig­en. Ist das nicht gerade in einem solchen Fall nicht ein eklatantes Versäumnis? BOSBACH: Für das Aufnahmege­spräch in der Haftanstal­t ist das wohl zutreffend, aber bei der Vielzahl von Überstellu­ngen auch von Häftlingen ausländisc­her Nationalit­ät weder ein Wunder noch ein Skandal. Anders im Zuge der Verhaftung selber. Der Haftbefehl ist natürlich auf Deutsch abgefasst und muss übersetzt werden. FRAGE: Wie wichtig wären Dschaber al-Bakr und seine Aussagen für die Sicherheit­sbehörden und den weiteren Anti-Terror-Kampf gewesen? BOSBACH: Was hat der Beschuldig­te in der Türkei gemacht? Wen hat er dort und möglicherw­eise auch in Syrien getroffen? Wer waren die Drahtziehe­r und Hintermänn­er, woher stammt der Sprengstof­f? Nur wenige wichtige Fragen, die man ihm jetzt nicht mehr stellen kann. Vieles ist zurzeit noch völlig unklar und muss jetzt in mühevoller Arbeit ermittelt und – wenn möglich – aufgeklärt werden.

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