Es gab zunächst keinen Strom und kein fließendes Wasser. 100 Kinder lebten in der Siedlung.
NEUENWEGE – Kein Strom, kein fließendes Wasser, keine Kanalisation – und für alle doch das Paradies auf Erden: Vor 80 Jahren wurden am Butenweg in Neuenwege zwölf Häuser für kinderreiche Familien gebaut.
Marie Gräfe (84) war ein Kind von etwa 100, das an der südlichen Stadtgrenze ein neues Zuhause fand. Mit sechs Geschwistern wuchs sie auf, als Kinder tobten sie über die Wiesen und Felder und genossen die Freiheit der Jugend. Wenig Jahre später wurde dann eine Stromleitung verlegt und die Oberleitungen direkt an die Häuser angeschlossen. Das Wasser wurde aus Brunnen gepumpt und in Eimern zu den Wohnungen gebracht, erzählt die 84-Jährige. Einen Wasseranschluss gab es erst 1962. Als Toiletten dienten Plumpsklos, die hinter den Häusern im Garten standen. 1971 steuerte erstmals auch die städtische Müllabfuhr die Siedlung an, die übrigens auf einer zwei Meter starken Moorschicht gebaut ist, was die Statiker vor einige stellte.
Warum die Nationalsozialisten damals für die kinderreichen Familien die Häuser so weit von der Innenstadt weg an der nur 300 Meter entfernten Stadtgrenze zum Landkreis Oldenburg bauen ließen, weiß man nicht. Doch die Randlage hat den Kindern und den Bewohner nichts ausgemacht. Auch der weite Weg zur Grundschule Drielake am Schulweg war kein Hindernis. Heute werden die wenigen Kinder, die noch am Butenweg leben, mit dem Schulbus pünktlich um 7.15 Uhr abgeholt und mittags wieder nach Hause gebracht. Eine Herausforderungen Verbindung in die Stadt gab es früher über den Bahnhaltepunkt Neuenwege, der 1967 aufgehoben wurde, ab 1973 fuhr die Buslinie 316 bis in die Siedlung. Mittlerweile tut sie das nicht mehr, sondern biegt zum Kloster Blankenburg ab. Im Zentrum des Straßenrings, der den Butenweg bildet, kletterten die Kindern auf drei Bunkern rum, die erst 1979 abgerissen wurden. Dann wurde ein hübscher Spielplatz angelegt, der nun aber vor wenigen Jahren mit neuen funktionalen Spielgeräten bestückt wurde – sehr zum Verdruss der Anlieger.
Die gute Nachbarschaft hält bis heute. Kontakte werden gepflegt und man hilft sich gegenseitig, wenn Not am Mann oder der Frau ist. Es wird gemeinsam gefeiert, gegessen und gelacht. Doch nach und nach wandelt sich das Bild, der Generationswechsel ist im vollen Gang, weiß Günter Krooß, so etwas wie der Sprecher der Anliegergemeinschaft. Einige Häuser seien bereits verkauft worden. In den Anfangsjahren wurde mit Kohle, Holz und Torf geheizt, 1981 wurde eine Gasleitung verlegt. 1994 folgte der Anschluss der Siedlung an die Kanalisation.
Einschneidend war dann der Beschluss der Stadt im Jahr 2001, die Häuser zu verkaufen – Vorkaufsrecht hatten die Mieter, von dem bis auf einen alle Gebrauch machten. Marie Gräfe freut sich, auch im Alter in ihrer Siedlung wohnen zu können. Für größere Besorgungen holt eine Freundin die 84-Jährige mit dem Auto ab. Ansonsten rollt einmal in der Woche am Freitag um 17 Uhr der Bäckerwagen in den Butenweg. An ihm kann man mehr als Brot, Brötchen und Backwaren kaufen.
„Buten“ist übrigens Plattdeutsch und heißt übersetzt ins Hochdeutsche „draußen“– beim Butenweg, draußen an der Stadtgrenze, ist der Name Programm.