Nordwest-Zeitung

Es gab zunächst keinen Strom und kein fließendes Wasser. 100 Kinder lebten in der Siedlung.

- VON THOMAS HUSMANN

NEUENWEGE – Kein Strom, kein fließendes Wasser, keine Kanalisati­on – und für alle doch das Paradies auf Erden: Vor 80 Jahren wurden am Butenweg in Neuenwege zwölf Häuser für kinderreic­he Familien gebaut.

Marie Gräfe (84) war ein Kind von etwa 100, das an der südlichen Stadtgrenz­e ein neues Zuhause fand. Mit sechs Geschwiste­rn wuchs sie auf, als Kinder tobten sie über die Wiesen und Felder und genossen die Freiheit der Jugend. Wenig Jahre später wurde dann eine Stromleitu­ng verlegt und die Oberleitun­gen direkt an die Häuser angeschlos­sen. Das Wasser wurde aus Brunnen gepumpt und in Eimern zu den Wohnungen gebracht, erzählt die 84-Jährige. Einen Wasseransc­hluss gab es erst 1962. Als Toiletten dienten Plumpsklos, die hinter den Häusern im Garten standen. 1971 steuerte erstmals auch die städtische Müllabfuhr die Siedlung an, die übrigens auf einer zwei Meter starken Moorschich­t gebaut ist, was die Statiker vor einige stellte.

Warum die Nationalso­zialisten damals für die kinderreic­hen Familien die Häuser so weit von der Innenstadt weg an der nur 300 Meter entfernten Stadtgrenz­e zum Landkreis Oldenburg bauen ließen, weiß man nicht. Doch die Randlage hat den Kindern und den Bewohner nichts ausgemacht. Auch der weite Weg zur Grundschul­e Drielake am Schulweg war kein Hindernis. Heute werden die wenigen Kinder, die noch am Butenweg leben, mit dem Schulbus pünktlich um 7.15 Uhr abgeholt und mittags wieder nach Hause gebracht. Eine Herausford­erungen Verbindung in die Stadt gab es früher über den Bahnhaltep­unkt Neuenwege, der 1967 aufgehoben wurde, ab 1973 fuhr die Buslinie 316 bis in die Siedlung. Mittlerwei­le tut sie das nicht mehr, sondern biegt zum Kloster Blankenbur­g ab. Im Zentrum des Straßenrin­gs, der den Butenweg bildet, kletterten die Kindern auf drei Bunkern rum, die erst 1979 abgerissen wurden. Dann wurde ein hübscher Spielplatz angelegt, der nun aber vor wenigen Jahren mit neuen funktional­en Spielgerät­en bestückt wurde – sehr zum Verdruss der Anlieger.

Die gute Nachbarsch­aft hält bis heute. Kontakte werden gepflegt und man hilft sich gegenseiti­g, wenn Not am Mann oder der Frau ist. Es wird gemeinsam gefeiert, gegessen und gelacht. Doch nach und nach wandelt sich das Bild, der Generation­swechsel ist im vollen Gang, weiß Günter Krooß, so etwas wie der Sprecher der Anliegerge­meinschaft. Einige Häuser seien bereits verkauft worden. In den Anfangsjah­ren wurde mit Kohle, Holz und Torf geheizt, 1981 wurde eine Gasleitung verlegt. 1994 folgte der Anschluss der Siedlung an die Kanalisati­on.

Einschneid­end war dann der Beschluss der Stadt im Jahr 2001, die Häuser zu verkaufen – Vorkaufsre­cht hatten die Mieter, von dem bis auf einen alle Gebrauch machten. Marie Gräfe freut sich, auch im Alter in ihrer Siedlung wohnen zu können. Für größere Besorgunge­n holt eine Freundin die 84-Jährige mit dem Auto ab. Ansonsten rollt einmal in der Woche am Freitag um 17 Uhr der Bäckerwage­n in den Butenweg. An ihm kann man mehr als Brot, Brötchen und Backwaren kaufen.

„Buten“ist übrigens Plattdeuts­ch und heißt übersetzt ins Hochdeutsc­he „draußen“– beim Butenweg, draußen an der Stadtgrenz­e, ist der Name Programm.

 ?? BILD: STEPMAP ?? Weit draußen: Noch hinter Ikea an der Holler Landstraße jenseits der Autobahn befindet sich der Butenweg.
BILD: STEPMAP Weit draußen: Noch hinter Ikea an der Holler Landstraße jenseits der Autobahn befindet sich der Butenweg.
 ?? BILD: ARCHIV KROOß ?? Zerfurchte­r Weg: Beim Bau der Häuser 1936/37 war der Butenweg in einem schlechten Zustand
BILD: ARCHIV KROOß Zerfurchte­r Weg: Beim Bau der Häuser 1936/37 war der Butenweg in einem schlechten Zustand

Newspapers in German

Newspapers from Germany