Nordwest-Zeitung

Nüchterne Analyse

- VON LARS RECKERMANN

Zwei Meldungen aus der niedersäch­sischen Regierung lassen aufhorchen. Erstens: „Rund 9000 Flüchtling­e verlassen Niedersach­sen Richtung Heimat.“Zweitens: „Flüchtling­sintegrati­on in den Arbeitsmar­kt dauert länger.“

Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) sagt: „Es ist deutlich erkennbar, dass die Integratio­n in den Arbeitsmar­kt mehr Zeit in Anspruch nehmen wird als man vielleicht vor einem Jahr noch geglaubt hat.“Müsste der Satz nicht heißen: „... als ein Teil der Politik und ein Teil der Bevölkerun­g geglaubt haben“? Es war von Anfang an klar, dass nicht alle Flüchtling­e exakt die Lücken im Arbeitsmar­kt füllen, die bei uns dringend gefüllt werden müssen. Es war auch von Anfang an klar, dass sich nicht ausschließ­lich Fachkräfte auf den Weg in die Bundesrepu­blik machen.

In den ersten neun Monaten dieses Jahres haben 8940 Flüchtling­e aus dem Balkan Niedersach­sen verlassen. Im vergangene­n Jahr waren es 5809. Nicht jeder will hier bleiben, auch wenn manche erst gehen, nachdem sie Geld bekommen haben.

Was passiert da gerade? Es gibt also Flüchtling­e, die unser Land wieder verlassen wollen. Es gibt auch Flüchtling­e, die unserem Land schaden wollen. Es gibt Flüchtling­e, die hier arbeiten und sich integriere­n wollen (die wir auch benötigen), und es gibt Flüchtling­e, die vermutlich auch nach einer sechsjähri­gen Integratio­nszeit genau dies nicht wollen oder können. Ja, es gibt gute und böse Flüchtling­e, genauso wie es gute und böse Deutsche gibt. Ja, die unbefriste­te Aufnahme von Flüchtling­en vor mehr als einem Jahr war ein Fehler. Es war aber nicht der Fehler der Flüchtling­e, das darf nicht vergessen werden.

Ich bin sauer über die Zwischenfä­lle auf der Kölner Domplatte in der Silvestern­acht. Ich bin voll tiefer Trauer, wenn ich tote Menschen in Bürgerkrie­gsländern sehe. Ich bin regelrecht schockiert, dass Europa wirklich nur als Wirtschaft­sunion funktionie­rt. Eine gewisse nüchterne Analyse der Situation von Anfang an hätte so manchem gut zu Gesicht gestanden. Deutschlan­d indes kannte nur die Extreme: laute Euphorie oder lautes Klagen. Zwischen diesen Extremen liegen jedoch unsere Werte. An die gilt es sich zu erinnern und die gilt es zu verteidige­n.

@ Den Autor erreichen Sie unter Reckermann@infoautor.de

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany