Nordwest-Zeitung

Schon als Kind radikalisi­ert

Safia S. droht für Messeratta­cke auf Polizisten bis zu zehn Jahre Haft

- VON MICHAEL EVERS

An diesem Donnerstag beginnt das Verfahren gegen die 16-Jährige. Verschiede­ne Hinweise deuteten bereits im Vorfeld auf die Tat hin.

HANNOVER – An eine Terroratta­cke denken die zwei Bundespoli­zisten wohl kaum, als sie im Hauptbahnh­of Hannover am 26. Februar eine 15 Jahre alte Schülerin überprüfen. Die Jugendlich­e ist den Beamten verdächtig hinterherg­elaufen. Nach der Routinefra­ge nach dem Ausweis rammt das Mädchen einem der Polizisten ein Gemüsemess­er in den Hals und verletzt ihn schwer, der Kollege überwältig­t Safia S.

Auf der Suche nach dem Motiv kommt schnell ein möglicher islamistis­cher Hintergrun­d ins Spiel. Die Ermittler sind sich schließlic­h sicher: Die Tat ist eine „Märtyrerop­eration“für die Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) gewesen. Sie werten den Angriff als erste vom IS in Deutschlan­d in Auftrag gegebene Terrortat – Monate später folgen die Attacke im Regionalzu­g bei Würzburg und die Explosion während eines Musikfeste­s in Ansbach.

Wenn die inzwischen 16jährige Safia S. sich von diesem Donnerstag (20. Oktober) an vor dem Oberlandes­gericht Celle wegen versuchten Mordes und Unterstütz­ung des IS verantwort­en muss, steht eine Frage im Mittelpunk­t: Wie konnte sich so ein junges Mädchen für so eine Gewalttat radikalisi­eren? Die Deutsch-Marokkaner­in trägt Kopftuch, im Internet präsentier­t sich die Gymnasiast­in wie viele Altersgeno­ssinnen: Selfies vor dem Kleidersch­rankspiege­l, Fotos mit Freundinne­n und von einem Paris-Ausflug.

Dass die Gewalttat einen langen Vorlauf hatte, ist schon Tage später deutlich. Auf Youtube ist Safia bereits 2008 mit dem Salafisten­prediger Pierre Vogel beim Rezitieren des Korans zu sehen. Vollends auf dem radikalen Weg ist Safia spätestens am 22. Januar 2016, als sie einen Flug nach Istanbul besteigt. Ihr Reiseziel: Der IS in Syrien, wohin kurz zuvor ihr älterer Bruder aufgebroch­en war. Während der 18-Jährige in türkischer Haft landet, wird Safia von ihrer Mutter aus Istanbul zurückgeho­lt, in Hannover erwartet sie die Polizei.

Spätere Ermittlung­en zeigen, dass die Behörden zu diesem Zeitpunkt die Möglichkei­t gehabt hätten, die drohende Gefahr zu bannen. Zwar kassierten die Fahnder Safias Handys ein, die Anweisunge­n des IS zur Messeratta­cke übersetzte­n sie aber erst Anfang März, da ist es schon zu spät. Auch aus dem Umfeld gab es Hinweise auf die Radikalisi­erung. So schaltete die Mutter bei der Ausreise der Tochter die Behörden ein. Es gab Hinweise der Großmutter, eines Lehrers und der Schulleitu­ng. Die Polizei kam am Tag der Messeratta­cke in Safias Schule – verhindern konnte das den Angriff nicht.

Die Behörden erhoffen sich von harten Strafen für IS-Unterstütz­er Abschrecku­ng und dass die Ausreisewe­lle radikalisi­erter Jugendlich­er Richtung Syrien abebbt. Doch in welchem Umfang ist die schon als Grundschül­erin indoktrini­erte Jugendlich­e schuldfähi­g, wie stark wurde sie von IS-Drahtziehe­rn über Chatnachri­chten ferngesteu­ert? Und hätten die Behörden nicht früher eingreifen müssen? Ist das Mädchen zugleich Opfer – wie ihr Bruder, der nach seiner Rückkehr in die Psychiatri­e eingewiese­n wurde?

Maximal drohen Safia zehn Jahre Haft. Wie das Gericht bereits mitteilte, ist es möglich, dass die Öffentlich­keit zum Schutz der Jugendlich­en von dem Prozess ausgeschlo­ssen wird. Die Hintergrün­de würden dann hinter verschloss­ener Türe erörtert.

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DPA-BILD: HOLLEMANN Die 16-jährige Safia S. muss sich vor dem Oberlandes­gericht in Celle für ihre Taten verantwort­en.

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