Schon als Kind radikalisiert
Safia S. droht für Messerattacke auf Polizisten bis zu zehn Jahre Haft
An diesem Donnerstag beginnt das Verfahren gegen die 16-Jährige. Verschiedene Hinweise deuteten bereits im Vorfeld auf die Tat hin.
HANNOVER – An eine Terrorattacke denken die zwei Bundespolizisten wohl kaum, als sie im Hauptbahnhof Hannover am 26. Februar eine 15 Jahre alte Schülerin überprüfen. Die Jugendliche ist den Beamten verdächtig hinterhergelaufen. Nach der Routinefrage nach dem Ausweis rammt das Mädchen einem der Polizisten ein Gemüsemesser in den Hals und verletzt ihn schwer, der Kollege überwältigt Safia S.
Auf der Suche nach dem Motiv kommt schnell ein möglicher islamistischer Hintergrund ins Spiel. Die Ermittler sind sich schließlich sicher: Die Tat ist eine „Märtyreroperation“für die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gewesen. Sie werten den Angriff als erste vom IS in Deutschland in Auftrag gegebene Terrortat – Monate später folgen die Attacke im Regionalzug bei Würzburg und die Explosion während eines Musikfestes in Ansbach.
Wenn die inzwischen 16jährige Safia S. sich von diesem Donnerstag (20. Oktober) an vor dem Oberlandesgericht Celle wegen versuchten Mordes und Unterstützung des IS verantworten muss, steht eine Frage im Mittelpunkt: Wie konnte sich so ein junges Mädchen für so eine Gewalttat radikalisieren? Die Deutsch-Marokkanerin trägt Kopftuch, im Internet präsentiert sich die Gymnasiastin wie viele Altersgenossinnen: Selfies vor dem Kleiderschrankspiegel, Fotos mit Freundinnen und von einem Paris-Ausflug.
Dass die Gewalttat einen langen Vorlauf hatte, ist schon Tage später deutlich. Auf Youtube ist Safia bereits 2008 mit dem Salafistenprediger Pierre Vogel beim Rezitieren des Korans zu sehen. Vollends auf dem radikalen Weg ist Safia spätestens am 22. Januar 2016, als sie einen Flug nach Istanbul besteigt. Ihr Reiseziel: Der IS in Syrien, wohin kurz zuvor ihr älterer Bruder aufgebrochen war. Während der 18-Jährige in türkischer Haft landet, wird Safia von ihrer Mutter aus Istanbul zurückgeholt, in Hannover erwartet sie die Polizei.
Spätere Ermittlungen zeigen, dass die Behörden zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit gehabt hätten, die drohende Gefahr zu bannen. Zwar kassierten die Fahnder Safias Handys ein, die Anweisungen des IS zur Messerattacke übersetzten sie aber erst Anfang März, da ist es schon zu spät. Auch aus dem Umfeld gab es Hinweise auf die Radikalisierung. So schaltete die Mutter bei der Ausreise der Tochter die Behörden ein. Es gab Hinweise der Großmutter, eines Lehrers und der Schulleitung. Die Polizei kam am Tag der Messerattacke in Safias Schule – verhindern konnte das den Angriff nicht.
Die Behörden erhoffen sich von harten Strafen für IS-Unterstützer Abschreckung und dass die Ausreisewelle radikalisierter Jugendlicher Richtung Syrien abebbt. Doch in welchem Umfang ist die schon als Grundschülerin indoktrinierte Jugendliche schuldfähig, wie stark wurde sie von IS-Drahtziehern über Chatnachrichten ferngesteuert? Und hätten die Behörden nicht früher eingreifen müssen? Ist das Mädchen zugleich Opfer – wie ihr Bruder, der nach seiner Rückkehr in die Psychiatrie eingewiesen wurde?
Maximal drohen Safia zehn Jahre Haft. Wie das Gericht bereits mitteilte, ist es möglich, dass die Öffentlichkeit zum Schutz der Jugendlichen von dem Prozess ausgeschlossen wird. Die Hintergründe würden dann hinter verschlossener Türe erörtert.