Große Sorge um Traditionsschiffe
SEEFAHRT Neue Sicherheitsrichtlinie aus Berlin bringt hohe Auflagen für Material und Personal
Ohnehin rechnet sich der Betrieb meist nicht. Jetzt redet man mancherorts von „Verschrottung“.
HAMBURG/BREMERHAVEN/LEER – So leicht lassen sich Seeleute nicht erschüttern – aber ein aktuelles Stück Papier schafft das schon: Der Entwurf einer Sicherheitsrichtlinie beunruhigt die Betreiber von Traditionsschiffen zutiefst. „90 Prozent der Betreiber wissen nicht, wie es weitergehen soll“, sagt der Vizechef des Verbands der Traditionsschiffe, Nikolaus Kern. Die Stimmung beschreibt er so: „Die Küste ist hochgradig erregt“.
Die Richtlinie, die im Bundesverkehrsministerium erarbeitet wurde, soll ab 2017 bauliche Beschaffenheit, Brandschutz und Ausrüstung sowie die Qualifikation der Crew neu regeln. Der Entwurf zur Änderung der Sicherheitsverordnung sieht Übergangsvorschriften vor. Staatssekretär Enak Ferlemann versichert: „Wir wollen die Traditionsschifffahrt erhalten.“Viele Eigner der rund 120 deutschen Traditionsschiffe befürchten das Gegenteil.
Künftig sollten zum Beispiel Holztreppen mit Stahl unterfüttert werden, dafür müssten die Holztreppen herausgerissen werden, sagt Kern. Und dies, obwohl es seit 40 Jahren keinen Brand gab.
Außerdem müsse die Seediensttauglichkeit der Besatzung amtlich gewährleistet sein. „Bei keinem gewerblichen Sportboot wird das gefordert“, kritisiert Kern. Mit diesem Entwurf erreiche Berlin das Gegenteil von Bestandschutz. „Wir wollten Vorschriften haben, auf deren Basis man in die Zukunft investieren kann.“
Der finanzielle Aufwand werde enorm sein, sagt Olaf Kalweit, dessen Verein in Rostock den 65 Jahre alten Fischtrawler „Santa Barbara Anna“betreibt. Es sei schon jetzt unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten völlig unrentabel, so ein Schiff zu halten. „Wenn die Richtlinie kommt, wäre es sinnvoll, die Schiffe zu verschrotten.“
Holger Bellgardt, Chef der Hanse Sail in Rostock, kritisiert den Zeitdruck. Nach vielen Jahren Diskussion sei im August der Entwurf veröffentlicht worden mit „viel zu kurzer“ Anhörungsfrist. Die Branche erwarte ein Signal aus Berlin, sich erneut an einen Tisch zu setzen. Dann könnte man ein für ganz Europa mustergültiges Papier erarbeiten.
Das Thema hat auch die Parlamente erreicht. So will Hamburgs Bürgerschaft die Richtlinie nicht hinnehmen und einen Gutachterausschuss einschalten.
2013 hatte der damalige Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) eine zweijährige Bedenkzeit ausgerufen. Er wolle den gesunden Menschenverstand walten lassen. In der neuen Vorlage sollte laut Ramsauer die Ehrenamtlichkeit in der Traditionsschifffahrt berücksichtigt sein, aber auch die Tatsache, dass die Crews andere fachliche Voraussetzungen haben als die in der Berufsschifffahrt. „Wenn das so gekommen wäre, wäre das hervorragend gewesen“, sagt Kern vom Dachverband der Traditionsschiffe.
Das Thema berührt auch den Nordwesten: Unruhe gibt es etwa auf der 113 Jahre alten „Astarte“in Bremerhaven. „Wir fahren mit vielen Ehrenamtlichen. Wenn die künftig Lehrgänge besuchen und Zertifikate wiederholt vorlegen müssen, dann brechen sie uns weg“, sagt Kapitän Eugen von Abel. Hinzu kämen die Kosten für diese Lehrgänge, die dann wohl der Verein übernehmen müsse. Das sei nicht zu leisten. „Wir sind im momentanen Betrieb schon am Limit, um das Schiff zu erhalten.“
Wenig Probleme sieht dagegen der Verein „Traditionsschiff Dampfer Prinz Heinrich“in Leer: Dort wird das älteste Seebäderschiff, auch ältester Doppelschrauben-Postund Passagierdampfer im Land, komplett entkernt und neu aufgebaut. Das 1909 gebaute Schiff war Jahrzehnte zwischen Emden und Borkum unterwegs. „Wir haben alle Sicherheitskriterien nach neuestem Stand erfasst und von Anfang an mit der Berufsgenossenschaft Verkehr zusammengearbeitet“, sagt Egon de Wall vom Dampfer-Verein.