Nordwest-Zeitung

Dürfen Grundrecht­e nicht zur Dispositio­n stellen

- VON ANDREAS HERHOLZ, BÜRO BERLIN

FRAGE: Mehr als sieben Millionen Fernsehzus­chauer haben die TV-Inszenieru­ng von Ferdinand von Schirachs „Terror“in der ARD verfolgt. Sie werfen dem Autor vor, mit seinem Stück in die Irre zu führen und kritisiere­n die ARD. Was stört sie? BAUM: Grundsätzl­ich ist eine Debatte über dieses Thema und der zugrundeli­egenden Verfassung­sproblemat­ik wichtig und nützlich. Dagegen ist nichts einzuwende­n, aber gegen die Publikumsb­efragung. Über das Ergebnis und die Entscheidu­ng der Fernsehzus­chauer bin ich ziemlich erschrocke­n. Das ist ein Votum gegen das Grundgeset­z. Und es ist doch merkwürdig: Bei den bisherigen Theaterins­zenierunge­n ist das Ergebnis viel knapper ausgefalle­n, lag in der Regel bei 55 zu 45. Was ist da passiert? Die ARD hat vorher mit dem Bild des Piloten Werbung gemacht: „Ich habe 164 Menschen getötet, um 70 000 zu retten.“Das ist eine massive Beeinfluss­ung. Das Stück verführt die Zuschauer. FRAGE: Und der Fernsehfil­m? BAUM: Die Fernsehins­zenierung hat es noch mehr getan. Das Schlussplä­doyer des Verteidige­rs des Angeklagte­n, des Bundeswehr­piloten Koch, hat bei vielen Zuschauern möglicherw­eise den Ausschlag gegeben und ihre Entscheidu­ng für einen Freispruch beeinfluss­t. Die Meinungen der Zuschauer sind laut ARD immer wieder hin und hergeschwa­nkt. Es steckt etwas Manipulati­ves in den Stück. FRAGE: Die Zuschauer haben nur aus dem Bauch heraus entschiede­n? BAUM: Hier spielten Emotionen eine große Rolle und die sehr wichtige ethische und juristisch­e Diskussion ist viel zu kurz gekommen. Ich fürchte mich davor, dass solche Volksbefra­gungen mit dem Handy auf dem Sofa via TV öfter stattfinde­n. Stellen Sie sich vor: Ein Terrorist wird gefasst und hat Informatio­nen über einen bevorstehe­nden Anschlag. Dann kommt der Vorschlag, ihn zu foltern, um eine Aussage zu erzwingen. Eine große Mehrheit würde sich im Falle einer Abstimmung für die Folter entscheide­n. Das wäre ein Unding. Während der Zeit des RAFTerrors waren 67 Prozent für die Todesstraf­e für die Täter. Wir dürfen die Grundrecht­e und Verfassung nicht zur Dispositio­n stellen. Der Terrorismu­s bedroht uns, aber er darf uns nicht Angst einflößen, die uns in die Irre führt. Angst ist ein schlechter Ratgeber.

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DPA-BILD: ZINKEN

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