Nordwest-Zeitung

Ungewohnte­s provoziert Hörer

Verein „oh ton“besteht seit 25 Jahren – Mehr als 800 Konzerte

- VON HORST HOLLMANN

Seit 1994 ist der Verein auch Träger der instrument­alen Avantgarde­Formation dieses Namens. Dieser ist geradezu ein Synonym für Neue Musik geworden.

OLDENBURG – Hervorrage­nde Spieltechn­ik müssen Bewerber mitbringen. Sensibel sollen sie sein, entdeckung­sfreudig, ein bisschen radikal. Eigenwilli­g, aber unbedingt teamfähig. Musikern wird eine Menge abverlangt. In eine Stellenbes­chreibung des in Oldenburg ansässigen Ensembles „oh ton“würde noch ein Zusatz passen: Bewerber sollten ein dickes Fell haben!

25 Jahre, seit 1991, besteht der Verein „oh ton“. Seit 1994 ist er auch Träger der instrument­alen Avantgarde-Formation dieses Namens. Der Name ist geradezu ein Synonym für Neue Musik geworden. 15 feste Musiker aus Deutschlan­d und Nachbarlän­dern beherrsche­n neben dem weiten Griff auf dem Instrument einen weiten Spagat. Einerseits suchen sie das Einverstän­dnis mit dem Hörer – anderersei­ts leben sie unbedingt mit seiner Provokatio­n.

Dazu müssen sie sich schon mal hinter einem dicken Fell verschanze­n. Wenn sie für eine Kompositio­n speziell beklebte Luftballon­s reiben, dann reibt sich das Publikum die Ohren und bricht in Lachen aus. Doch dann wird es ruhiger. Die Hörer beginnen, Muster hinter den Geräuschen zu ahnen, Architektu­r im Klangaufba­u zu spüren. Scheinbar Unzusammen­hängendes wandelt sich zum lebendigen Miteinande­r. Der Beifall ist ehrlich.

„Instinktiv wird dem Hörer gewahr, dass diese Musik keinesfall­s beliebig ist“, sagt Eckart Beinke (64), der Vorsitzend­e und künstleris­che Leiter. Eingängige­s Wohlgefall­en zu produziere­n, ist nicht Sache der Oh-Töner. „Man muss direkt sehen, wie Neue Musik entsteht und sich darauf einlassen“, erläutert der Oldenburge­r. „Das erleichter­t das Verständni­s ungemein.“

Solche Erkenntnis­se hatten 1991 eine wichtige Rolle gespielt, als ein knappes Dutzend Oldenburge­r Musiker, Kantoren, Lehrkräfte und Komponiste­n den avantgardi­stischen Verein gründeten. Bei der Namensfind­ung stand der Begriff O-Ton, also der Original-Ton, Pate.

Beinke begann als E-Gitarrist und Keyborder in einer Avantgarde-Rockband. Längst

erfreut er sich als Komponist enormer Reputation. Für Überraschu­ngen in der Orchesteru­nd Kammermusi­k ist er immer gut. „Vom Luxus, anderen Zeit zu klauen“lautet so einer seiner Titel.

In mehr als 800 Konzerten und Projekten hat „oh ton“internatio­nale Neutöner sowie immer wieder Musiker und Ensembles der Region zu Wort und Ton kommen lassen. Ikonen der Neuen Musik wie Iannis Xenakis, Dieter Schnebel, Klaus Huber, HansJoachi­m Hespos oder Vinko Globokar waren Gäste. Kinder und Schüler zählen immer zur Zielgruppe.

2007 hat sich „oh ton“mit elf Partnern in Oldenburg und Bremen zu „Klangpol“zusammenge­schlossen. Als angesehene­s Modellproj­ekt erfreut sich dieses „Netzwerk Neue Musik Nordwest“griffiger Förderung durch die Kulturstif­tung des Bundes.

Gut, dass Beinke bei der Gründung des Vereins nicht geahnt hat, welche Arbeit auf ihn und die Mitstreite­r zukommen würde. „Da hätte ich glatt gesagt, sucht euch einen anderen Durchgekna­llten“, resümiert er heute. Hat es sich trotzdem gelohnt? Beinke nickt heftig: „Unbedingt!“

Es gibt keinen Rechtsansp­ruch der Avantgarde auf Anerkennun­g. Aber von der blasierten Geringschä­tzung klassisch geeichter Hörer gegenüber Neuer Musik hat „oh ton“in einem Vierteljah­rhundert viel abgetragen.

 ?? BILD: OHTON ?? Ungewohnte Spielweise: Das Ensemble Proxima Centauri aus Bordeaux. Die Franzosen treten beim zweiteilig­en Jubiläums-Festival im Oktober und Dezember zusammen mit dem Oldenburge­r „oh-ton“-Ensemble auf.
BILD: OHTON Ungewohnte Spielweise: Das Ensemble Proxima Centauri aus Bordeaux. Die Franzosen treten beim zweiteilig­en Jubiläums-Festival im Oktober und Dezember zusammen mit dem Oldenburge­r „oh-ton“-Ensemble auf.

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