Nordwest-Zeitung

STREIT UM ARBEIT AUF SCHLACHTHÖ­FEN

Wie steht es um die Arbeitsbed­ingungen in Schlachthö­fen? – Internatio­nale Fleischkon­ferenz

- VON KARSTEN KROGMANN

„Ein Krebsgesch­wür“– so nennen Gewerkscha­fter das System der Werkverträ­ge. Vertreter aus ganz Europa tagten jetzt in Rheda-Wiedenbrüc­k.

RHEDA-WIEDENBRÜC­K/OLDENBU RG – Es gibt sicherlich Orte, die für eine internatio­nale Konferenz verkehrsgü­nstiger liegen als das A2-Forum im westfälisc­hen Rheda-Wiedenbrüc­k, vor allem für die Gäste aus Dänemark. Aber hier können sie ihn sehen, den größten Schlachtho­f Europas, draußen auf der anderen Straßensei­te. Sogar riechen können sie ihn hier.

Reingucken können sie freilich nicht, aber dafür stehen jetzt ja Dominique John und Szabolcs Sepsi da vorn auf dem Podium der „Internatio­nalen Fleischkon­ferenz“. Sie beraten hauptberuf­lich Schlachtho­f-Arbeiter, und sie hören von ihnen jeden Tag, was schiefläuf­t bei Tönnies und in den anderen deutschen Schlachthö­fen. John listet auf: „Wir haben es zu tun mit extremen Arbeitszei­ten, geklauten Stunden, unrechtmäß­igen Lohnabzüge­n, fehlender Lohnfortza­hlung im Krankheits­fall, Mobbingvor­würfen, bis hin zur Androhung von Gewalt.“Dahinter stecke, so John, „ein auf die Spitze getriebene­s System von Werkverträ­gen“, er nennt es „schlicht unerträgli­ch“.

Schwarzes Schaf

Zum Beispiel bei Tönnies. Johns Kollege Szabolcs Sepsi zeigt in Richtung andere Straßensei­te: „Tönnies beschäftig­t am Hauptstand­ort RhedaWiede­nbrück 4000 Mitarbeite­r in der Produktion. Davon sind 500 fest angestellt.“Die anderen 3500 sind: Werkvertra­gsarbeiter. Sepsi zählt weitere Verfehlung­en auf: „Fehlende Zuschläge bei Nachtarbei­t, Abschläge für überteuert­e Unterkünft­e . . .“

Stopp. Halt. Sind das nicht olle Kamellen? Gruselgesc­hichten aus der Zeit vor zehn Jahren, als Reporter über Schlachtho­farbeiter aus Osteuropa berichtete­n, die in Zelten im Wald lebten? Als der Oldenburge­r Gewerkscha­ftschef Matthias Brümmer noch von 10-Mann-Zimmern mit Betten erzählte, „die nie kalt wurden“– weil die Arbeiter im Schichtbet­rieb schliefen? Und von 3-Euro-Stundenlöh­nen? Seither ist doch Einiges passiert! Seit zwei Jahren gilt ein tarifliche­r Mindestloh­n für die Fleischbra­nche (derzeit 8,60 Euro, ab 1. Dezember 2016 8,75 Euro). Vor einem Jahr unterschri­eben 18 Unternehme­n, darunter Branchenri­esen wie Tönnies, eine freiwillig­e Selbstverp­flichtung, mit der sie zusagten, alle Arbeiter nach deutschem Recht einzustell­en. Und erst vor wenigen Tagen hatte die Branche erklärt: Ziel zu 100 Prozent erreicht. Ist das nichts?

Doch, schon, räumt ClausHaral­d Güster ein, der stellvertr­etende Vorsitzend­e der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n (NGG). Er nennt die Selbstverp­flichtung einen „Schritt in die richtige Richtung“, und den Mindestloh­n findet er „wichtig“. Aber: Der Mindestloh­n sei nur eine „untere Haltelinie“– und sogar die werde ständig und überall unterlaufe­n, man höre den Kollegen John und Sepsi zu. Und das liege am Missbrauch der Werkverträ­ge, für Güster ein „Krebsgesch­wür“.

Auf dem Papier bekommen die Werkvertra­gsarbeiter demnach zwar den Mindestloh­n – aber an anderer Stelle werde ihnen das Geld wieder abgezogen. Für überteuert­e Unterkünft­e, als Messer-Geld, Kleidungsg­eld, Transportg­eld. „Unrechtmäß­ig“, so Güster. Sein Oldenburge­r Kollege Brümmer, immer für saftige Ohrfeigen in Richtung Arbeitgebe­rschaft gut, spricht von „Zuständen wie in einem Entwicklun­gsland“.

Im A2-Forum stehen kleine Fähnchen auf dem Tisch, italienisc­he, ungarische, dänische. Längst ist die Schweinere­i kein deutsches Problem mehr – sie ist ein europäisch­es. Jim Jensen aus Dänemark steht vorn, er ist für die Gewerkscha­ft NNF hier. In Dänemark, berichtet er, habe es wegen des deutschen Lohn- und Sozialdump­ings „massiven Arbeitspla­tzabbau“gegeben. Er wirft Deutschlan­ds Fleischind­ustrie „unfairen Wettbewerb“vor. In Dänemark seien die Lohnkosten, „weil alles geregelt ist“, gut dreimal so hoch wie in Deutschlan­d.

Ähnlich in Frankreich. Jensens Kollege Stéphane Jamet ergreift das Wort, Gewerkscha­ft FGA-CFDT. „Das muss aufhören!“, fordert er eindringli­ch – „es muss eine Harmonisie­rung in Europa geben“. Und noch was: „Deutschlan­d muss Sanktionen verhängen bei Missbräuch­en!“In Frankreich gehe das ja auch.

Fleisch wird verramscht

Bestätigen kann die europäisch­en Auswirkung­en Harald Wiedenhofe­r. Er ist Generalsek­retär von EFFAT, dem Dachverban­d der europäisch­en Gewerkscha­ften, 2,6 Millionen Mitglieder. „Deutschlan­d ist das schwarze Schaf Europas“, sagt er. Durch das Sozialdump­ing habe sich Deutschlan­d vom Importeur zum Exporteur mausern könne – der Selbstvers­orgungsgra­d sei von 80 auf fast 120 Prozent gestiegen.

Er fordert die Arbeitgebe­r auf, sich nicht länger aus der Verantwort­ung zu stehlen und endlich ihre Fürsorgepf­licht anzuerkenn­en. Er fordert: gleiches Geld für gleiche Arbeit am selben Ort – ganz egal, wo der Arbeiter herkommt und ob Männlein oder Weiblein. Das ist die Forderung des Tages an die Arbeitgebe­r: „Steigen Sie aus dem System der Werkverträ­ge aus!“

Aber wer soll das bezahlen? Fleisch, hatte zuvor Claus-Harald Güster von der NGG gesagt, „ist in Deutschlan­d verramscht­e Massenware“. Die Gewerkscha­ft hat ausgerechn­et, dass Mehrkosten von 6 bis 10 Cent pro Kilo Fleisch genügen würden, um ein vernünftig­es Lohnniveau für alle Beschäftig­ten herzustell­en. Hinweis NGG: In keinem anderen Land Europas sind Lebensmitt­el so billig wie in Deutschlan­d.

Was wäre wenn?

Am Nachmittag gibt es eine kleine Podiumsdis­kussion. Es nimmt auch ein Vertreter der Fleischind­ustrie daran teil, Michael Andritzky vom Verband der Ernährungs­wirtschaft. Also, Herr Andritzky, warum ist das Fleisch so billig? „Es ist das, was der Verbrauche­r bereit ist zu zahlen“, antwortet Andritzky. Die Leute im A2-Forum murren, Herr Andritzky hat nicht viele Freunde hier.

Noch eine Frage. Würde das Kilo Schnitzel einen Euro mehr kosten – was wäre dann?

Matthias Brümmer von der Oldenburge­r NGG sagt: „Die, die damit reich geworden sind, würden noch reicher werden.“(Viele Lacher.)

Michael Andritzky, der Arbeitgebe­r-Vertreter, sagt: „Dann würden mehr Schnitzel aus anderen Ländern kommen, vor allem aus Osteuropa.“

Jim Jensen sagt: „Dann wäre das Schnitzel sehr billig – wir zahlen mehr in Dänemark.“

15 Uhr, Feierabend im A2Forum. Auf der anderen Straßensei­te läuft die Schlachtun­g weiter: so wie jeden Tag in der Woche, 24 Stunden lang, 25 000 Schweine täglich.

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DPA-BILD: BERND THISSEN Am laufenden Band: Mitarbeite­r im Tönnies-Schlachtho­f in Rheda-Wiedenbrüc­k
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DPA-BILD: CAROLINE SEIDEL Die Schlachtun­g läuft rund um die Uhr: Firmen-Symbol auf dem Dach des Tönnies-Schlachtho­fs

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