Nordwest-Zeitung

Seit Donnerstag wird im Fall Safia S. vor dem Oberlandes­gericht in Celle verhandelt. Der 16Jährigen Schülerin drohen bis zu zehn Jahre Haft.

- VON MICHAEL EVERS

CELLE – Wie eine IS-Kämpferin sieht die 16-jährige Safia S. nicht aus, als sie den Hochsicher­heitssaal des Oberlandes­gerichts Celle betritt. Die Schülerin trägt ein braunes Pulloverkl­eid mit Kapuze und ein beiges Kopftuch, ihre modische Brille hat einen dunklen Rand. Eher schüchtern läuft sie zum Platz neben ihrem Verteidige­r. Eine normale Jugendlich­e halt, wird sich auch der Polizist gedacht haben, dem Safia Ende Februar bei einer Kontrolle im Hauptbahnh­of Hannover ein Messer in den Hals rammt. Für diese Attacke muss sie sich seit Donnerstag verantwort­en.

„Wie wollen wir es halten, Safia und Du, oder Frau S.?“, fragt der Vorsitzend­e Richter Frank Rosenow, der bemüht ist, die Atmosphäre zu entspannen. „Safia und Du reicht“, sagt die Schülerin, für die der grauhaarig­e Rosenow Vater oder Klassenleh­rer sein könnte. Rosenow lacht, es scheint, als wolle er das Grundvertr­auen, das eigentlich zwischen einem Erwachsene­n und Amtsträger sowie einer Jugendlich­en herrschen sollte, herstellen. Genau dieses hatte Safia bei ihrer Attacke auf den arglosen Polizeibea­mten missbrauch­t und ausgenutzt. Kinder als Terroriste­n – das Phänomen stellt auch die Justiz auf die Probe.

Dabei stehen mit der Deutsch-Marokkaner­in Safia und dem als Mitwisser angeklagte­n Deutsch-Syrer Mohamad Hasan K. (20) zwei Prototypen eines neuen islamistis­chen Terrors vor Gericht, vor dem Sicherheit­sbehörden verschiede­ner europäisch­er Länder warnen. Über das Internet radikalisi­ert, oft mit familiären Wurzeln in muslimisch­en Ländern, sind sie über die Propaganda und Chats mit IS-Drahtziehe­rn ferngesteu­ert und sollen Anschläge in ihren europäisch­en Heimatländ­ern verüben.

Beispiel Safia S.: Die Tochter einer strenggläu­bigen Marokkaner­in kommt schon als Grundschül­erin mit dem Salafisten­prediger Pierre Vogel in Kontakt, als „Unsere kleine Schwester im Islam“präsentier­t Vogel sie auf Youtube beim Rezitieren des Korans. Als Safia Anfang dieses Jahres nach Überzeugun­g der Anklage zum IS Richtung Syrien aufbricht, erhält sie in Istanbul den Marschbefe­hl: Wir brauchen dich für Angriffe in deiner Heimat, erklären ihr die Strippenzi­eher. Die Ermittler werten Safias Attacke als ersten Anschlag im Auftrag des IS in Deutschlan­d.

Was aber kann man gegen diese gewisserma­ßen hausgemach­te Terrorgefa­hr tun, wie sie überhaupt erkennen? Um für die Prävention zu lernen, wird es bei dem Prozess in Celle sicher auch darum gehen, zu erfragen, was Safia und den Mitangekla­gten Mohamad Hasan K. bewogen hat, sich für den radikalen Islamismus zu fanatisier­en, dessen Wurzeln und Kampflinie­n fernab von Norddeutsc­hland liegen.

Zurückhalt­ung gehört nicht zu den prägenden Merkmalen von Bernd Althusmann (CDU), designiert­er CDU-Parteichef und Spitzenkan­didat seiner Partei zur Landtagswa­hl 2018. In der ersten Vorstellun­gsrunde vor CDU-Mitglieder­n räumte der neue Hoffnungst­räger gleich zwei politische Altlasten der früheren schwarz-gelben Vorgängerr­egierung ab: Die einst von CDU und FDP eingeführt­en und von Rot/ Grün kassierten Studiengeb­ühren sind für Althusmann nur noch „Vergangenh­eit“– ebenso wie das von ihm als Kultusmini­ster verantwort­ete und gescheiter­te „Turbo-Abitur“nach 12 Jahren. „Wir kehren nicht wieder zurück“, macht Althusmann Tabula rasa.

Ebenso schneidig packt der Ex-Bundeswehr­offizier auch innerparte­iliche Probleme an. Als ein Parteifreu­nd über Missgunst in Hildesheim klagt, lautet die kurze und knappe Antwort in der Dragoner-Halle zu Hannover: „Ich schicke die Kavallerie – Generalsek­retär Ulf Thiele!“Althusmann­s lautes Lachen zeigt jedoch, dass solche Zeiten in der CDU wohl ebenfalls der Vergangenh­eit angehören.

Apropos Vergangenh­eit: Der Streit um die Aufhebung der Immunität des SPD-Abgeordnet­en Ronald Schminke, der Missstände in Pflegeheim­en angeprange­rt hat, findet Parallelen in der Landtags-Historie. Aktuell hat die Heimleiter­in Schminke wegen Verleumdun­g angeklagt; seine Immunität, die Abgeordnet­e im Grundsatz vor Strafverfo­lgung schützt, soll aufgehoben werden. Ähnlich gelagert, verhindert­e 1970 der Oldenburge­r Horst Milde (SPD), dass Staatsanwä­lte gegen den Kollegen Albert Fiege losmarschi­erten, weil dieser die Werbung eines Realschull­ehrers für die NPD öffentlich machte. Hier ging’s um angebliche „üble Nachrede“. Auch über einen CDU-Abgeordnet­en hielt der Landtag die schützende Hand. Dieser hatte seinen Landrat einen „Hanswurst“genannt. Für den Grünen-Juristen Helge Limburg zeigt sich, dass es immer wieder gute Argumente gab, die Aufhebung der Immunität zu verweigern. „Wie im Fall Schminke“, fügt Limburg hinzu.

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