Lauter Liebespaare
Goethes Ehefrau Christiane wurde von den Zeitgenossen und in späteren Darstellungen als unstandesgemäß verachtet und übel denunziert als Hure, als „schönes Stück Fleisch“(Thomas Mann), ja, als „toll gewordene Blutwurst“(Bettina von Arnim). Sigrid Damms großartiges Buch über Christianes fast 30-jährige Beziehung mit Goethe zeigt dagegen eine resolute, intelligente, witzige, selbstbewusste Frau aus dem Volk, die in ihrer Partnerschaft mit Goethe dem „Olympier“die notwendige Bodenhaftung schenkte. (Sigrid Damm: „Christiane und Goethe. Eine Recherche“, it 4380, 10,-)
Die Briefe Franz Kafkas an Felice Bauer, die sich gleich zweimal ver- und wieder entlobten, sind ein zwischen Tragik und unfreiwilliger Komik changierender Eiertanz um die Frage: Heiraten oder lieber doch nicht? „Dieser ständige Sinneswandel, das Herantasten und dann doch wieder Fliehen, weil jedes Wort zu viel dann doch wieder zu nahe hingeführt hat zu etwas, wozu man sich letztlich nicht imstande sieht“– unter diesem Aspekt, so der Herausgeber Hans-Gerd Koch mit einem reichlich gewagten Aktualisierungsversuch, ähnele diese Korrespondenz einer heutigen Fernbeziehung via Internet. (Franz Kafka: „Briefe an Felice Bauer“, Fischer 90598, 19,99)
Mit dem Dichter und Theatermann Hugo Ball und der exzentrischen, drogenabhängigen Diseuse Emmy Hennings fand sich ein Paar, das zwischen Expressionismus und Dada, Anarchie und Revolution, zum Kernbestand der Münchner und Berliner Boheme-Schickeria vor dem Ersten Weltkrieg zählte. Das Paar gründete 1916 in Zürich das berühmte Cabaret Voltaire und zog sich später ins Tessin zurück, wo es eine enge Freundschaft mit Hermann Hesse pflegte. (Bärbel Reetz: „Das Paradies war für uns. Emmy Ball-Hennings und Hugo Ball“, it 4400, 16,99)
In der Schweiz lebt auch der russische Autor Michail Schischkin. In seinem Roman „Briefsteller“geht es um eine vertrackte Beziehung: Ein durch den Krieg getrenntes Paar pflegt den, wie es scheint, ganz normalen Briefwechsel zweier Liebender, doch nach und nach wird deutlich, dass die Zeitebenen nicht zueinander passen, dass der Mann und die Frau in unterschiedlichen Epochen leben. (Michail Schischkin: „Briefsteller“, btb 74789, 10,99)
Wie ein tragischer Liebesroman liest sich der Briefwechsel zwischen dem Schriftsteller und späteren Nobelpreisträger Elias Canetti und der Malerin MarieLouise von Motesiczky, die beide vor den Nazis nach England flohen. Belastet von ungleichen Lebensbedingungen ergab sich eine Liebesbeziehung der unerfüllten Hoffungen. (Elias Canetti/Marie-Louise von Motesiczky: „Liebhaber ohne Adresse. Briefwechsel 19421992“, Fischer 19623, 12,99)