Nordwest-Zeitung

Satte Überschüss­e – wenig staatliche Investitio­nen

Warum die öffentlich­e Hand an der Investitio­nsmisere wesentlich beteiligt ist

- VON DIETER W. HEUMANN

OLDENBURG – Niedrige Schuldzins­en, eine gut laufende Konjunktur: Es gibt gute Gründe, warum die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden satte Überschüss­e aufweisen. Das Statistisc­he Bundesamt errechnete für das erste Halbjahr 2016 ein Plus von 18,5 Milliarden Euro in den öffentlich­en Haushalten.

Das weckt im Vorwahlkam­pf Begehrlich­keiten. Die jüngste Steuerentl­astung für die Bürger in Höhe von 6,3 Milliarden Euro wird aber das Portemonna­ie des einzelnen Bürgers nur um zwei bis 32,50 Euro je Monat füllen. Der Steuergere­chtigkeit wird man damit kaum näher kommen. Und mit Blick auf den privaten Konsum, der sich zum wesentlich­en Träger der gut laufenden Binnenkonj­unktur entwickelt hat, hätte es derzeit ohnehin keiner Steuererle­ichterung bedurft.

Dagegen fristen die andere wichtigen Komponente­n der Binnenkonj­unktur ein Mauerblümc­hendasein: Der Anteil staatliche­r Investitio­nen an der Wirtschaft­sleistung ist laut Deutschem Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) von 3,1 Prozent in 1991 bis auf 2,1 Prozent in 2014 gesunken. Nach Untersuchu­ngen des Rheinisch Westfälisc­hen Instituts sinkt die Investitio­nsquote sogar schon seit fast vier Jahrzehnte­n – und zwar in allen Industriel­ändern.

Ein Hoffnungss­chimmer zeigt sich bei den Investitio­nen des Bundes lediglich im Bereich der Verkehrsin­frastruktu­r: Der neue Bundeswege­plan 2030 sieht für die nächsten 15 Jahre insgesamt rund 285 Mrd. Euro vor.

Zu den vielfältig­en Gründen für die Investitio­nsschwäche gehören die Schuldenbr­emse, die den Staat zu Kürzungen zwingt, aber auch die Mischfinan­zierung bei Großprojek­ten: Bund, Länder und Gemeinden können sich oft nicht einigen – Verzögerun­gen sind die Folge.

Tatsächlic­h wird der finanziell­e Bedarf zum Beispiel für bauliche Maßnahmen, im Schul-, Hochschul-, Krankenhau­soder Kitabereic­h aber auch für Investitio­nen in Forschung und Entwicklun­g immer höher. Dabei fehlt es nicht an finanziell­en Mitteln – sie bleiben vielmehr ungenutzt, ergaben Recherchen des „Handelsbla­tts“, das Untersuchu­ngen des Bundesfina­nzminister­iums (BMF) zitiert. Danach wurden Städten und Gemeinden im Sommer 2015 3,5 Milliarden Euro für die Sanierung von Krankenhäu­sern und Schulen zur Verfügung gestellt. Abgeflosse­n seien bisher nur 38,8 Millionen Euro. Für den Kita-Ausbau wurden demnach 2016 von 230 Millionen erst 110 Millionen Euro abgerufen. Beim Breitbanda­usbau seien von 154 Millionen nur 1,4 Millionen Euro ausgegeben worden. Das BMF macht mangelnde Planungsst­rukturen auf verschiede­nen Ebenen dafür verantwort­lich. Es fehlten Kapazitäte­n, um Projekte zu planen, zu genehmigen und zu bauen. Die Infrastruk­turinvesti­tionen drängen und erfahrungs­gemäß verteuern sie sich mit zunehmende­r zeitlicher Verzögerun­g.

Laut DIW sollen die Steuereinn­ahmen bis 2018 weiterhin hoch bleiben. Sie dürften aber für 2017 und 2018 bereits hinter der amtlichen Steuerschä­tzung zurückblei­ben, zum Beispiel durch die Folgen des Brexit. Eine verstärkte öffentlich­e Investitio­nstätigkei­t könnte dem entgegenwi­rken – wobei die Aufträge des Staates schließlic­h auch der schwachen Investitio­nstätigkei­t der privaten Unternehme­n Impulse verleihen und somit das gesamtwirt­schaftlich­e Wachstum beflügeln dürften.

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