Ägyptens große Leere Terror und Unruhen haben zum schlimmsten Einbruch des Tourismus seit Jahrzehnten geführt. Eine Wirtschaftskrise ist die Folge.
Fünf Jahre nach dem „Arabischen Frühling“leidet Ägypten wirtschaftlich und politisch
KAIRO/LUXOR – Der Tempel von Kom Ombo in Oberägypten ist ein Wunderwerk altägyptischer Architektur. Fast jeder Ägypten-Touristen kommt hierher. Doch jetzt, im September, gleicht der Tempelbezirk einer Geisterstadt. Alle Betreiber haben ihre Souvenir-Läden aufgegeben. Bis zum Mittag hat noch kein einziger Tourist eine Eintrittskarte gekauft. Selbst die Bettler haben ihre Plätze am Straßenrand geräumt.
„Es ist eine Katastrophe“, klagt der Reiseführer. Er hat nur noch einige wenige Tage im Monat Arbeit. Von den rund 300 Kreuzfahrtschiffen auf dem Nil fahren jetzt noch 20 – und auch die sind nur zu 30 Prozent ausgebucht. Wie tote Wale dümpeln die FlussRiesen hinter Luxor zu Dutzenden leer am Ufer.
Zwei Revolutionen und eine Terrorkampagne haben Ägypten seit 2011 schwer getroffen. Nach dem „Arabischen Frühling“kamen immer weniger Touristen. Waren es 2010 noch 14 Millionen, sanken die Zahlen bis 2014 auf knapp 9,5 Millionen. Im Jahr darauf brachen die Werte noch einmal massiv ein – auf nun rund 8,5 Millionen. An das Jahr 2016 will in Ägypten niemand denken – die Folgen des Anschlags auf den russischen Jet über dem Sinai dürften noch einmal katastrophale Auswirkungen haben.
Für die Menschen im Land hat das dramatische Folgen. Ägypten ist einer der größten Lebensmittelimporteure der Welt. Nun verschwinden Jobs, und importierte Lebensmittel werden immer teurer. Der Lebensstandart sinkt, öffentliche Arbeiten bleiben liegen, und so manche private Bauruine zeugt von breitem wirtschaftlichen Niedergang.
Dabei gibt es im Grunde kaum einen Grund, nicht nach Ägypten zu fahren. Es ist günstig wie nie, und die Regierung unternimmt massive Anstrengungen für die Sicherheit der wenigen Touristen. In Kom Ombo sind die schwer bewaffneten Touristenschützer nirgendwo zu übersehen. Auch an den Flughäfen ist der alte Schlendrian – zumindest teilweise – echter Wachsamkeit gewichen.
Im Vergleich zu 2011 herrscht politisch allerdings heute eine Art Friedhofsruhe. Die Ägypter sind noch immer tief gespalten. Die Anhänger der radikalen Moslembrüder haben sich in ihre Moscheen zurückgezogen. In den Städten sind aber vollverschleierte Frauen und fromm die Gebetskette schwingende Männer allgegenwärtig. Zähneknirschend haben sich daher viele Ägypter mit dem autokratischen Regime Abdel Fatah al-Sisis arrangiert. „Wenn Mursi geblieben wäre, käme heute überhaupt niemand mehr“, sagt Ahmed (Name der Redaktion bekannt). Der Mitdreißiger arbeitet wie so viele Oberägypter in der Tourismusbranche. Über den Sturz des islamistischen Präsidenten ist er froh: „Das war unsere zweite Revolution!“Und er wäscht Europa den Kopf: „Da redet man immer von einem Putsch. Aber es war in Wirklichkeit eine echte Revolution.“Er wundere sich, warum in Europa so viele Leute Sympathien für die Moslembrüder hegten.
Doch der Aufstand gegen den Autokraten Mubarak von 2011 hat Spuren hinterlassen. Jüngere, gut gebildete Leute sehen, dass sie Kraft haben, die Gesellschaft zu verändern. Informelle, zivilgesellschaftliche Gruppen haben sich gebildet und arbeiten quer zu den etablierten, von Familienund religiösen Bindungen bestimmten gesellschaftlichen Strukturen. Da ist zum Beispiel Schinuda Eskander (30, siehe Interview). Er kümmert sich in Luxor um die Schwächsten der Gesellschaft, um die, die vom ägyptischen Staat unter keiner Regierung etwas zu erwarten haben – schwer behinderte Kinder und ihre Familien.