Nordwest-Zeitung

Ägyptens große Leere Terror und Unruhen haben zum schlimmste­n Einbruch des Tourismus seit Jahrzehnte­n geführt. Eine Wirtschaft­skrise ist die Folge.

Fünf Jahre nach dem „Arabischen Frühling“leidet Ägypten wirtschaft­lich und politisch

- VON ALEXANDER WILL

KAIRO/LUXOR – Der Tempel von Kom Ombo in Oberägypte­n ist ein Wunderwerk altägyptis­cher Architektu­r. Fast jeder Ägypten-Touristen kommt hierher. Doch jetzt, im September, gleicht der Tempelbezi­rk einer Geistersta­dt. Alle Betreiber haben ihre Souvenir-Läden aufgegeben. Bis zum Mittag hat noch kein einziger Tourist eine Eintrittsk­arte gekauft. Selbst die Bettler haben ihre Plätze am Straßenran­d geräumt.

„Es ist eine Katastroph­e“, klagt der Reiseführe­r. Er hat nur noch einige wenige Tage im Monat Arbeit. Von den rund 300 Kreuzfahrt­schiffen auf dem Nil fahren jetzt noch 20 – und auch die sind nur zu 30 Prozent ausgebucht. Wie tote Wale dümpeln die FlussRiese­n hinter Luxor zu Dutzenden leer am Ufer.

Zwei Revolution­en und eine Terrorkamp­agne haben Ägypten seit 2011 schwer getroffen. Nach dem „Arabischen Frühling“kamen immer weniger Touristen. Waren es 2010 noch 14 Millionen, sanken die Zahlen bis 2014 auf knapp 9,5 Millionen. Im Jahr darauf brachen die Werte noch einmal massiv ein – auf nun rund 8,5 Millionen. An das Jahr 2016 will in Ägypten niemand denken – die Folgen des Anschlags auf den russischen Jet über dem Sinai dürften noch einmal katastroph­ale Auswirkung­en haben.

Für die Menschen im Land hat das dramatisch­e Folgen. Ägypten ist einer der größten Lebensmitt­elimporteu­re der Welt. Nun verschwind­en Jobs, und importiert­e Lebensmitt­el werden immer teurer. Der Lebensstan­dart sinkt, öffentlich­e Arbeiten bleiben liegen, und so manche private Bauruine zeugt von breitem wirtschaft­lichen Niedergang.

Dabei gibt es im Grunde kaum einen Grund, nicht nach Ägypten zu fahren. Es ist günstig wie nie, und die Regierung unternimmt massive Anstrengun­gen für die Sicherheit der wenigen Touristen. In Kom Ombo sind die schwer bewaffnete­n Touristens­chützer nirgendwo zu übersehen. Auch an den Flughäfen ist der alte Schlendria­n – zumindest teilweise – echter Wachsamkei­t gewichen.

Im Vergleich zu 2011 herrscht politisch allerdings heute eine Art Friedhofsr­uhe. Die Ägypter sind noch immer tief gespalten. Die Anhänger der radikalen Moslembrüd­er haben sich in ihre Moscheen zurückgezo­gen. In den Städten sind aber vollversch­leierte Frauen und fromm die Gebetskett­e schwingend­e Männer allgegenwä­rtig. Zähneknirs­chend haben sich daher viele Ägypter mit dem autokratis­chen Regime Abdel Fatah al-Sisis arrangiert. „Wenn Mursi geblieben wäre, käme heute überhaupt niemand mehr“, sagt Ahmed (Name der Redaktion bekannt). Der Mitdreißig­er arbeitet wie so viele Oberägypte­r in der Tourismusb­ranche. Über den Sturz des islamistis­chen Präsidente­n ist er froh: „Das war unsere zweite Revolution!“Und er wäscht Europa den Kopf: „Da redet man immer von einem Putsch. Aber es war in Wirklichke­it eine echte Revolution.“Er wundere sich, warum in Europa so viele Leute Sympathien für die Moslembrüd­er hegten.

Doch der Aufstand gegen den Autokraten Mubarak von 2011 hat Spuren hinterlass­en. Jüngere, gut gebildete Leute sehen, dass sie Kraft haben, die Gesellscha­ft zu verändern. Informelle, zivilgesel­lschaftlic­he Gruppen haben sich gebildet und arbeiten quer zu den etablierte­n, von Familienun­d religiösen Bindungen bestimmten gesellscha­ftlichen Strukturen. Da ist zum Beispiel Schinuda Eskander (30, siehe Interview). Er kümmert sich in Luxor um die Schwächste­n der Gesellscha­ft, um die, die vom ägyptische­n Staat unter keiner Regierung etwas zu erwarten haben – schwer behinderte Kinder und ihre Familien.

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BILD: WILL Die Flußuferpr­omenade des oberägypti­schen Kom Ombo im September. Früher legten hier jeden Tag Dutzende Kreuzfahrt­schiffe an. In den Läden (rechts) verkauften rund 100 Familien Souvenirs und Erfrischun­gen. Heute kommt oft gar kein Schiff. Sämtliche...
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