Nordwest-Zeitung

Moderne Poesie trägt Turnschuhe und Tattoos

Teilnehmer begeistern bei Landesmeis­terschafte­n – Stimmung in Vorrunden auf Dauerhoch

- VON NINA JANSSEN

OLDENBURG – „Drogen kommen jetzt nicht mehr aus Südamerika. Die Dealer von Zucker heißen jetzt Petra und Silke und sitzen an der Supermarkt­kasse von Penny.“Ein Seufzer. „Das Ganze ist dann auch noch legal.“Nicht witzig? Wahrschein­lich nicht, denn diesen Text muss man sehen, hören – erleben. Daniel Madison schildert seine Sucht nach Oreo-Keksen, mit verstörtem Gesichtsau­sdruck und in sachlichem Ton, staubtrock­en, aber mit Tempo. Der Film im Kopf läuft, Lachtränen sind nicht aufzuhalte­n – Lebendige Texte, genau das macht die moderne Dichtung des „Poetry-Slam“aus.

Die 30 besten „Slammer“lieferten sich vergangene­s Wochenende einen Dichterwet­tstreit bei den sechsten Poetry-Slam-Landesmeis­terschafte­n für Niedersach­sen und Bremen. Schauplätz­e waren die Exerzierha­lle, die Kulturetag­e und das Polyester. Das Publikum entschied über die besten Beiträge.

In der Exerzierha­lle nahmen am Sonnabend zehn Kandidaten etwa 150 Besucher mit in ihre verworrene Gedankenwe­lt. Sechs Minuten hatte jeder Dichter Zeit auf der Bühne. Eine Mischung aus witzigen und nachdenkli­chen Texten verschafft­e dem Publikum echtes Gefühlscha­os. Die Moderatore­n Hanning Chadde und Jan Egge hielten die Stimmung unter den Zuschauern auf einem Dauerhoch. „Poetry?“, ruft Egge, „Slam“, donnert es zurück. „Einfach, weil es Spaß macht“, freut sich der Moderator.

Die Themen Flucht und Integratio­n, Fremdenhas­s und Abschiebun­g zogen sich durch den Abend. Die stärkste Geschichte lieferte Theresa Sperling mit „Amilia“, einem Text über ein Mädchen aus ihrer Schulklass­e. Leise und ruhig, aber sehr berührend: „Menschen kann man abschieben, ihre Träume aber nicht.“Da rollte sogar die ein oder andere Träne. Tobi Kunze gestikulie­rte wild um sich. „Schlimm diese Überfremdu­ng“, quiekt er wie eine sture, alte Omi. Dann nutzt er seine volle Stimmkraft: „Aber zeig’ mir einen Nazi, der vor Ikea steht und gegen die Schweden demonstrie­rt.“

Das Publikum zählt runter: „Fünf, vier, drei, zwei, eins.“Dann beginnt die Halle zu beben. Ein Klatschen und Trampeln überrennt die „Slammer“wie eine Horde Gnus. Pfiffe und Rufe durchdring­en den Raum. Neugierig drehen sich die Ersten nach hinten um. Für die Bewertung verteilten die Veranstalt­er per Zufall sieben Jurykarten, die bestimmten, welche „Slammer“weiterkomm­en.

Mit einer naiven und selbstiron­ischen Art à la „arme Socke“kassierte Johannes Berger drei mal zusätzlich Applaus: „Mein Leben schmeckt zur Zeit nach einem Smoothie. Aber einem mit Grünkohl, Spinat und Hundekot.“

Sperling, Kunze und Berger stellten sich am Sonntagabe­nd im Finale sechs weiteren Kandidaten. Wer von ihnen den Sprung aufs Siegertrep­pchen schaffte, stand bei Redaktions­schluss noch nicht fest. Über den Ausgang des Finales berichtet die Ð in der Dienstagsa­usgabe.

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BILD: MOHSSEN ASSANIMOGH­ADDDAM Künstler lassen sich fallen (v. l.): Theresa Sperling, Kristof K Punkt und Eberhard Kleinschmi­dt.

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