Rundliche Frau mit Ecken und Kanten
Als 170-Kilo-Vollweib traut sich Nicole Jäger, die Wahrheit übers Abnehmen zu sagen
Im komplett ausverkauften PFL präsentiert Nicole Jäger ihre kabarettistische Lesung „Ich darf das, ich bin selber dick“. Humorvoll wagt sie sich an Tabuthemen.
OLDENBURG – Die Bulldogge ist fett; die Superfrau mit tadellosem Bikinikörper joggt lässig grinsend am Strand entlang. Man kennt diesen Werbespot. Kurz vor der Tagesschau suggeriert er uns, wie einfach abnehmen sein kann. Wer sich jetzt mies fühlt, legt die Chips und Nüsschen ganz schnell beiseite. Oder auch nicht, nimmt sich aber vor: Morgen, morgen fange ich damit an.
Nicole Jäger hat es früher auch immer auf morgen verschoben und alles ausprobiert. Was der Markt bereit hält: Pülverchen, Pillen, Punkte und „von 200 Diäten, die es gibt, habe ich 201 ausprobiert. Mehrfach. Haben sie geholfen? Sehen Sie mich an!“
Was für eine Frau! Als 170Kilo-Vollweib stellt sie sich selber zur Schau. Sie präsentiert sich auf der Bühne des PFL im schwarzen eng anliegenden Wickelkleid mit prächtigem Dekolleté und spricht schonungslos, ehrlich und selbstkritisch viele der oft gemiedenen Problembereiche der dicken Menschen an. Sie erzählt die Geschichte über ihr „fettes Leben“. Sie wechselt dabei zwischen dem freien Vortrag am Mikrofon und der Lesung aus ihrem Buch „Die Fettlöserin“. Sprachgewandt und witzig jongliert und spielt sie wunderbar mit Wortbedeutungen hin und her. Dann sprudeln, angeknüpft an die oben genannte Diätkampagne, solche Sätze raus: „Wenn ich eine Figur hätte und einen Bikini – dann hätte ich eine Bikinifigur“.
Und im gleichen Atemzug beschreibt sie ihren jahrelangen Kampf mit dem Essen. 340 Kilo haben die beiden Waagen rechts und links vor 7 Jahren angezeigt. „Mehr als zwei Elefantenbabys“. Gefressen hat sie, maßlos alles in sich hineingestopft, konnte kein Ende finden. Dieser Leidensdruck, nicht mehr am Alltagsleben teilnehmen zu können, war unerträglich. Nur rumsitzen, weil jede Bewegung qualvoll ist und schmerzt, um dann wieder aus lauter Frust zu essen.
Das Einkaufen, auch heute noch, wird zu einem Spießrutenlauf. Scheinbar ist es verwunderlich, dass dicke Menschen Lebensmittel kaufen. Offen wird gelästert und beleidigt, wenn sich Fettleibige wie „wundersame Wesen durch die Supermarktregale schlängeln“.
Nicole Jäger hat ein lockeres Mundwerk. Sie erreicht ihr Publikum mit einer Mischung aus Frotzeleien und Ernsthaftigkeit, ohne dabei zotig zu werden. Dies gelingt ihr meisterhaft. Auch das Thema Sex spart sie nicht aus. „Haben Dicke eigentlich auch, na Sie wissen schon?“Antwort: „Na klar“.
„Ich hab mich halbiert“, sagt sie, und es soll weiter gehen. Langsam. Im Jahr so 15 bis 20 Kilo. „Nur keine Diät. Wer abnehmen will, muss essen“. Sie hat sich mit ernährungstheoretischen Ansätzen auseinander gesetzt und für sich ein individuelles Programm gebastelt. Sie will glücklich sein. Kein „freundlicher Pudding“mehr, der ständig unter den subtilen Attacken oder versteckten Lästereien der Mitmenschen leiden muss.
Den Abend beschließt Nicole Jäger mit einem bemerkenswerten Monolog in Reimform – ein tiefsinniges Selbstbekenntnis ihres schweren Leidensweges und gleichzeitig Plädoyer für mehr Lebensfreude. Ihr Motto und letzter Satz: „Die Verantwortung ist ganz allein deine“. Es ist mucksmäuschenstill im Saal, bevor es tosenden Beifall gibt. Das nimmt man mit nach Hause: Nicole Jäger ist eine Mutmacherin.
Katja Wigbers – Verbindungen, Filzobjekte, Bilder, Ecoprint und Quilt Art (bis 30. Oktober)