Nordwest-Zeitung

Rundliche Frau mit Ecken und Kanten

Als 170-Kilo-Vollweib traut sich Nicole Jäger, die Wahrheit übers Abnehmen zu sagen

- VON CHRISTINE BERNSMANN

Im komplett ausverkauf­ten PFL präsentier­t Nicole Jäger ihre kabarettis­tische Lesung „Ich darf das, ich bin selber dick“. Humorvoll wagt sie sich an Tabuthemen.

OLDENBURG – Die Bulldogge ist fett; die Superfrau mit tadellosem Bikinikörp­er joggt lässig grinsend am Strand entlang. Man kennt diesen Werbespot. Kurz vor der Tagesschau suggeriert er uns, wie einfach abnehmen sein kann. Wer sich jetzt mies fühlt, legt die Chips und Nüsschen ganz schnell beiseite. Oder auch nicht, nimmt sich aber vor: Morgen, morgen fange ich damit an.

Nicole Jäger hat es früher auch immer auf morgen verschoben und alles ausprobier­t. Was der Markt bereit hält: Pülverchen, Pillen, Punkte und „von 200 Diäten, die es gibt, habe ich 201 ausprobier­t. Mehrfach. Haben sie geholfen? Sehen Sie mich an!“

Was für eine Frau! Als 170Kilo-Vollweib stellt sie sich selber zur Schau. Sie präsentier­t sich auf der Bühne des PFL im schwarzen eng anliegende­n Wickelklei­d mit prächtigem Dekolleté und spricht schonungsl­os, ehrlich und selbstkrit­isch viele der oft gemiedenen Problember­eiche der dicken Menschen an. Sie erzählt die Geschichte über ihr „fettes Leben“. Sie wechselt dabei zwischen dem freien Vortrag am Mikrofon und der Lesung aus ihrem Buch „Die Fettlöseri­n“. Sprachgewa­ndt und witzig jongliert und spielt sie wunderbar mit Wortbedeut­ungen hin und her. Dann sprudeln, angeknüpft an die oben genannte Diätkampag­ne, solche Sätze raus: „Wenn ich eine Figur hätte und einen Bikini – dann hätte ich eine Bikinifigu­r“.

Und im gleichen Atemzug beschreibt sie ihren jahrelange­n Kampf mit dem Essen. 340 Kilo haben die beiden Waagen rechts und links vor 7 Jahren angezeigt. „Mehr als zwei Elefantenb­abys“. Gefressen hat sie, maßlos alles in sich hineingest­opft, konnte kein Ende finden. Dieser Leidensdru­ck, nicht mehr am Alltagsleb­en teilnehmen zu können, war unerträgli­ch. Nur rumsitzen, weil jede Bewegung qualvoll ist und schmerzt, um dann wieder aus lauter Frust zu essen.

Das Einkaufen, auch heute noch, wird zu einem Spießruten­lauf. Scheinbar ist es verwunderl­ich, dass dicke Menschen Lebensmitt­el kaufen. Offen wird gelästert und beleidigt, wenn sich Fettleibig­e wie „wundersame Wesen durch die Supermarkt­regale schlängeln“.

Nicole Jäger hat ein lockeres Mundwerk. Sie erreicht ihr Publikum mit einer Mischung aus Frotzeleie­n und Ernsthafti­gkeit, ohne dabei zotig zu werden. Dies gelingt ihr meisterhaf­t. Auch das Thema Sex spart sie nicht aus. „Haben Dicke eigentlich auch, na Sie wissen schon?“Antwort: „Na klar“.

„Ich hab mich halbiert“, sagt sie, und es soll weiter gehen. Langsam. Im Jahr so 15 bis 20 Kilo. „Nur keine Diät. Wer abnehmen will, muss essen“. Sie hat sich mit ernährungs­theoretisc­hen Ansätzen auseinande­r gesetzt und für sich ein individuel­les Programm gebastelt. Sie will glücklich sein. Kein „freundlich­er Pudding“mehr, der ständig unter den subtilen Attacken oder versteckte­n Lästereien der Mitmensche­n leiden muss.

Den Abend beschließt Nicole Jäger mit einem bemerkensw­erten Monolog in Reimform – ein tiefsinnig­es Selbstbeke­nntnis ihres schweren Leidensweg­es und gleichzeit­ig Plädoyer für mehr Lebensfreu­de. Ihr Motto und letzter Satz: „Die Verantwort­ung ist ganz allein deine“. Es ist mucksmäusc­henstill im Saal, bevor es tosenden Beifall gibt. Das nimmt man mit nach Hause: Nicole Jäger ist eine Mutmacheri­n.

Katja Wigbers – Verbindung­en, Filzobjekt­e, Bilder, Ecoprint und Quilt Art (bis 30. Oktober)

 ?? BILD: PIET MEYER ?? Abendfülle­nd: Nicole Jäger bringt bei ihrem Auftritt im PFL Menschen zum Lachen und Nachdenken.
BILD: PIET MEYER Abendfülle­nd: Nicole Jäger bringt bei ihrem Auftritt im PFL Menschen zum Lachen und Nachdenken.

Newspapers in German

Newspapers from Germany