Nordwest-Zeitung

„So kann Europa nicht weitermach­en“

Vorläufige­s Ende der Ceta-Gespräche – Wallonie stimmt nicht zu

- VON MIRJAM MOLL, BÜRO BRÜSSEL

BRÜSSEL – Die Enttäuschu­ng stand dem belgischen Premier Charles Michel förmlich ins Gesicht geschriebe­n: „Die Antwort der wallonisch­en Regierung hat uns angesichts der Politik des leeren Stuhls nicht überrascht“, sagte der Liberale am vorläufige­n Ende eines diplomatis­chen Marathons. Er sollte den Durchbruch für das Freihandel­sabkommen Ceta der EU mit Kanada bringen.

Bereits seit dem vorvergang­enen Wochenende hatte Michel versucht, die Zweifel der südlichen, französisc­hsprachige­n Region seines Landes auszuräume­n – oder vielmehr von deren Ministerpr­äsident Paul Magnette. Bis zum Gipfeltref­fen der Staats- und Regierungs­chefs vergangene Woche war dies misslungen – nun scheint die geplante Unterzeich­nung an diesem Donnerstag fast schon eine Utopie.

Ausgerechn­et Ratspräsid­ent Donald Tusk hatte sich noch am Freitagabe­nd dazu hinreißen lassen, ein Ultimatum zu stellen – und damit den wallonisch­en Widerstand womöglich noch verschärft: Belgien habe bis zum Montagaben­d Zeit, die abtrünnige Wallonie mit ins Boot zu holen. Die Antwort Magnettes kam über Twitter: „Ein Ultimatum ist mit den demokratis­chen Rechten unseres Landes nicht vereinbar“, schrieb er dort.

Dass der wallonisch­e Ministerpr­äsident Paul Magnette den Verhandlun­gen am Wochenende ferngeblie­ben ist, zeichnet ein düsteres Bild der politische­n Situation in Belgien. Zwar hatte Michel erst unlängst eine Vertrauens­frage im Parlament in Brüssel für sich entscheide­n können. Doch nach den misslungen­en Verhandlun­gen werden die Brüche immer deutlicher: Der Parteivors­itzende der sozialdemo­kratischen PS, Elio Di Rupo, kündigte an, dass noch „Wochen“für die Verhandlun­gen nötig seien. „Wir wollen Transparen­z“, erklärte der Präsident der wallonisch­en Volksvertr­etung, André Antoine, der der christlich-sozialen Partei cdH angehört.

Dabei hatte sich die EUKommissi­on bemüht, über Zusatzdoku­mente jegliche Zweifel auszuräume­n. Doch Magnette reicht das offenbar nicht aus. Vor allem beim Investitio­nsschutz, also der Art und Weise, wie Rechtsstre­itigkeiten zwischen Unternehme­n und einem Staat geklärt werden, hat er Zweifel. Dabei heißt es in dem Zusatzdoku­ment ausdrückli­ch, dass die beteiligte­n Länder dafür selbst Richter benennen können, die Verhandlun­gen werden also nicht wie bei Schiedsger­ichten oft üblich von Anwälten geführt.

Der Hintergrun­d aber dürfte ein anderer sein. Zwar hängt laut einer Statistik der Kommission einer von sechs Jobs in Belgien vom Export ab. Doch 90 Prozent des Handels, den das Land mit Kanada betreibt, laufen über Flamen, den niederländ­isch-sprachigen nördlichen Teil des Benelux-Staats. Magnette fürchtet um das Überleben seiner Bauern, den Arbeitnehm­erschutz, den Verbrauche­rschutz. Dennoch gab er am Montag erstaunlic­h leise Töne von sich: „Wir brauchen noch mehr Zeit.“

Erstaunlic­h einig waren sich die Vertreter der größten Parteien im Europäisch­en Parlament in der Einschätzu­ng von Magnettes Blockadeha­ltung: „So kann Europa nicht weitermach­en. Es ist ein unwürdiges Theater, das die EU-Staaten bei Ceta gerade aufführen“, formuliert­e es der Chef der EVP-Mehrheitsf­raktion Manfred Weber (CSU).

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