116 Stimmen ohne echten Wert
Kritik an der Wahlvorbereitung – Knapp 15 000 Wahlberechtigte in der Stadt
Bei den Behinderungsformen ist nun eine größere Mischung vertreten. Die Neubesetzung hat offenbar kurz auf der Kippe gestanden.
OLDENBURG – Der neue Behindertenbeirat ist gewählt – allerdings nur von einem Bruchteil aller Berechtigten in der Stadt: Gerade einmal 116 von 14836 Oldenburger Schwerbehinderten machten vom Recht Gebrauch, ihre Vertreter in die politischen Ausschüsse zu entsenden. Die neun Gewählten (18 Kandidaten) haben jetzt erst einmal mehr Fragen als Antworten.
Soll man so eine Wahl bewerten? Und wenn ja: wie? Ratlos sind sie, nach wie vor auch „sehr überrascht“, wie Monika Klumpe sagt. Die vormalige „Stimmensiegerin“und nun Wiedergewählte kann sich die geringe Wahlbeteiligung nicht erklären. So sehr sie es auch möchte.
Im Vorfeld der jüngsten und damit nach der äußerst dürftigen Beteiligung vor fünf Jahren (2011: 154 Wähler) habe man sich schon Gedanken darüber gemacht, wie es weitergehen könne. Und wahrscheinlich hätte man bei einer noch niedrigeren Quote als der jetzigen die Wahl auch abgelehnt. „Ja, bei 50 Wählern wäre es wohl so gewesen“, gestand Klumpe jetzt ihre Gefühlswelt angesichts derart schwacher Mandate ein. Nun kamen tatsächlich etwas mehr als die Hälfte zur Versammlungswahl. Befriedigend ist das nicht. Aber: „Wir haben uns gefreut, dass 116 Menschen von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht haben – und dafür wollen wir uns bei ihnen bedanken.“
Enttäuscht und motiviert
Zur Tagesordnung und der konstituierenden Sitzung am 8. November mag man da jedoch nicht einfach übergehen. „Die geringe Wahlbeteiligung werden wir besprechen, Erklärungen dafür suchen und schauen, ob es Lösungen gibt“, so Klumpe. Trotz der großen Enttäuschung gehe man „hochmotiviert“an die künftigen Aufgaben.
Der neue Beirat besteht aus vier Frauen und fünf Männern mit ganz unterschiedlichen Behinderungsformen – Sehund Hör-, psychischen wie körperlichen Beeinträchtigungen. „Eine gute Mischung für die Probleme in der Stadt“, befindet Meike Dittmar, die diesmal die meisten Stimmen (80) auf sich vereinen konnte.
In welche Ausschüsse man Vertreter entsenden will und darf, wird zeitnah geklärt. Bislang waren es Sozial- und Verkehrsausschuss, das soll auch so bleiben. Interesse hegt man aber auch an Jugendhilfe, Kultur und Schule. Mindestens. Nun hofft man darauf, von den Parteien entsprechend der Bedarfe als beratende Mitglieder „gegriffen“zu werden.
Fraglich bleibt, ob das – wofür man sich engagiert – auch bei der Zielgruppe so ankommt. Die Stadtverwaltung zeige zwar eine große Wertschätzung, sagt Dittmar, „das ist in anderen Kommunen schon anders“. Aber die Werbe-Besuche in Werkstätten und Heimbeiräten, auch die Wahl-Ankündigung via Plakat, haben offensichtlich nicht gefruchtet. Vielleicht lag es am zeitgleichen Marathon, vielleicht „können viele der oft über 75-jährigen Pflegebedürftigen auch grundsätzlich nicht zur Versammlung kommen“, vermutet Klumpe. Zur Erklärung: Mehr als 3000 Oldenburger haben einen Behinderungsgrad von 100.
Fünf Jahre Klärungszeit
Vielleicht krankt es da aber auch schlichtweg am System. Bislang habe das Landesamt es abgelehnt, Wahlpapiere und Aufrufe an die potenziellen Wähler zu verschicken. Ohne diese direkten Hinweise aber wird es schwer, die rund 15000 Betroffenen zur Wahl ihrer Vertreter zu bewegen. Auch Sozialdezernentin Dagmar Sachse betont, dass man aus dieser Wahl „etwas mitgenommen“habe und das Prozedere überdenken will.
Neben den Rahmenbedingungen muss eine weitere, die wohl unangenehmste Frage beantwortet werden: Wissen die Betroffenen überhaupt von der Existenz „ihres“Beirates? Hier gibt es wohl noch einiges zu klären. Fünf Jahre haben die neun Gewählten nun dafür Zeit.
Es ist – nach demokratischem Verständnis – ein Desaster: Lediglich 0,78 Prozent aller schwerbehinderten Berechtigten machten von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Nicht nur der Beirat muss sich und seine Außendarstellung angesichts dieses öffentlichen Desinteresses hinterfragen, sondern auch die Politik. Welcher Einfluss wird dem Beirat tatsächlich zugestanden, welche Stellung haben dessen Mitglieder – immerhin Vertreter aller 15000 Schwerbehinderten – innerhalb der Gremien? Für nur 0,78 Prozent der Zielgruppe ist ein solcher Beirat eher Luxus, den Aufwand nicht wert. Wichtiger noch: Das Votum wird dem enormen Engagement der Beiratsmitglieder nicht gerecht. Oder ist deren Arbeit gar so gut, dass die Nichtwähler grenzenlos vertrauen? Schönreden hilft nicht. Alles muss auf den Prüfstand. Erst recht das Wahl-Prozedere. @Geschonke@infoautor.de