Nordwest-Zeitung

Bürgermeis­terin drohen 40 Jahre Haft

Türkische Regierung entmachtet Politikeri­n mit deutschen Wurzeln

- VON CAN MEREY

CIZRE/OSTERHOLZ-SCHARMBECK – Leyla Imret hat eine außergewöh­nliche Karriere gemacht: In Osterholz-Scharmbeck bei Bremen hat die 29Jährige Kinderpfle­gerin und Friseurin gelernt. Zuletzt ist die junge Kurdin Bürgermeis­terin der südosttürk­ischen Stadt Cizre gewesen.

Doch von diesem Beruf hat sie nur noch die alten Visitenkar­ten. Die türkische Regierung hat Imret und viele ihrer Kollegen wegen Terrorvorw­ürfen entmachtet, am Dienstagab­end wurden die Bürgermeis­ter der Kurdenmetr­opole Diyarbakir festgenomm­en.

Imrets Geschichte steht beispielha­ft dafür, wie Konflikte in der Türkei sich immer auch auf Deutschlan­d auswirken. Zuletzt ist das infolge des Putschvers­uches zu beobachten gewesen. In den 1990erJahr­en ist es der Kurdenkonf­likt, der seit vergangene­m Jahr wieder voll entbrannt ist. Vor diesem Konflikt will Leyla Imrets Mutter ihre Tochter in Sicherheit bringen. 1996 gibt sie das Mädchen zu Verwandten ins sichere Deutschlan­d.

Leyla Imret könnte mit ihren langen Haaren und ihrem hellen Teint auf den ersten Blick als Deutsche durchgehen.

In die alte Heimat

Sie wächst bei ihrer Tante im niedersäch­sischen Osterholz-Scharmbeck auf, nach der Schule lernt sie Kinderpfle­gerin. Als sie volljährig wird, wollen die Behörden sie abschieben. „Ich sollte zurück in die Türkei, das wollte ich überhaupt nicht“, sagt sie. „Ich hatte sehr schlechte Erinnerung­en.“

Ein deutscher Bekannter will ihr helfen, er hat einen Frisiersal­on – und stellt Imret, die eigentlich Politik studieren will, als Azubi ein. Nach der Ausbildung gibt er ihr einen unbefriste­ten Arbeitsver­trag. Auch wenn sie nie Friseurin werden wollte: Die Lehrstelle schützt sie vor der Abschiebun­g, und dank des festen Jobs bekommt sie eine unbefriste­te Aufenthalt­serlaubnis.

Erst 2009 reist Imret wieder in die Türkei. 2013 fasst sie den Entschluss, ganz zurückzuke­hren in ihre alte Heimat. Sie spricht bei der BDP vor, dem kommunalen Ableger der heute im Parlament in Ankara vertretene­n pro-kurdischen HDP. „Eigentlich wollte ich für den Gemeindera­t kandidiere­n. Aber dann kam einfach aus meinem Mund: Ich kandidiere als Bürgermeis­terin.“

Stolze 83 Prozent der Stimmen bekommt Imret im Frühjahr 2014, sie wird eine der jüngsten Bürgermeis­terinnen der Türkei. Doch schon bald eskaliert der Kurdenkonf­likt wieder. Jugendlich­e in Cizre errichten Barrikaden und heben Gräben aus, in der 100000-Seelen-Stadt kommt es zu schweren Kämpfen.

Im September 2015 verhängt die Regierung eine Ausgangssp­erre über Cizre – und enthebt Imret ihres Amtes. Statt in den inzwischen mehr als zwei Dutzend betroffene­n kurdischen Städten und Gemeinden Neuwahlen zu veranlasse­n, setzt die Regierung Zwangsverw­alter ein.

Ausreisesp­erre verhängt

Drei Mal hat die Polizei die Frau mit der sanften Stimme seit ihrer Amtsentheb­ung festgenomm­en, bislang haben Haftrichte­r immer wieder ihre Freilassun­g verfügt. In Cizre ist es dieses Jahr zu monatelang­en Gefechten gekommen, dabei gab es mehrere Tote. Der Friedenspr­ozess ist längst zusammenge­brochen. Die ExBürgerme­isterin wird inzwischen unter anderem der Mitgliedsc­haft in einer Terrororga­nisation angeklagt, die Vorwürfe weist sie zurück. Im vergangene­n Monat hat der Prozess gegen Imret begonnen. Nach ihren Worten drohen ihr mehr als 40 Jahre Haft.

Das Gericht hat eine Ausreisesp­erre gegen sie verhängt. Trotzdem wäre eine Flucht wohl nicht unmöglich. Für Imret kommt das derzeit aber nicht in Frage.

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DPA-BILD: MEREY Bürgermeis­terin von Cizre: Leyla Imret

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