Knappe Entscheidung sichert Straffreiheit
Staatsanwalt darf nicht gegen SPD-Abgeordneten Schminke ermitteln
HANNOVER – Der Zuspruch kommt von allen Seiten: Die SPD-Abgeordneten Sabine Tippelt und Stefan Klein sitzen eng bei Ronald Schminke (SPD), die Oldenburger Grünen-Politikerin Susanne Menge streichelt mitfühlend seinen Arm – am Ende lehnt der Landtag mit rot-grüner Mehrheit die Aufhebung der Immunität Schminkes ab. Göttinger Staatsanwälte dürfen damit nicht gegen den Parlamentarier wegen Verleumdung ermitteln – was CDU und FDP erlauben wollten. Schlussstrich unter einem äußerst heftigen Streit. Damit bleibt Schminke straffrei. Vorerst.
Der Landtag erlebt an diesemVormittag eine Sternstunde der Debattenkultur: Statt des gewohnten Haudraufs auf politische Gegner setzen die Redner auf Argumente, auf ruhiges Nachdenken über Rechts-Prinzipien und reflektieren Pro und Kontra des Schutzes vor Strafverfolgung, den die Immunität den Abgeordneten dem Grundsatz nach garantiert. Nur, wo endet die Straffreiheit? Gilt sie immer? Wann nicht?
Schminke hat in seinem Wahlkreis die Zustände in einem Pflegeheim angeprangert und wohl auch die Finanzklemme der Betreiberin. Dazu erhielt Schminke Material von vielen Seiten – und machte die Verhältnisse öffentlich. Die Heimleiterin erstattete Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Göttingen. Doch die Ermittler dürfen nur tätig werden, wenn der Landtag dafür grünes Licht gibt. Deshalb beantragte die Staatsanwaltschaft Göttingen die Aufhebung der Immunität Schminkes.
„Es ist gut, wenn sich Bürger an Abgeordnete wenden können und diese Betroffenen helfen“, lobt der Wiefelsteder Jurist Jens Nacke (CDU) den Sozialdemokraten nachdrücklich. Das gelte besonders „für hilflose Bewohner in einem Pflegeheim“. „Aber“, so Nacke, „wir im Landtag kennen nicht die Wahrheit.“Deshalb müsse der Staatsanwalt ermitteln, deshalb müsse die Immunität aufgehoben werden. Nacke: „Denn niemand kann ausschließen, dass sich Herr Schminke strafbar gemacht hat.“Anders, ergänzt der FDP-Innenpolitiker Christian Grascha, drohe eine Zwei-Klassen-Justiz – eine für die Bürger und eine für geschützte Abgeordnete.
Der SPD-Jurist Grant Hendrik Tonne kämpft nachdrücklich für seinen Parteifreund, „der sich stark gemacht hat für Schwache der Gesellschaft“. Es dürfe deshalb „keinen Versuch der Einschüchterung durch eine Strafanzeige geben“, betont Tonne – in Übereinstimmung mit den Grünen. Schminke selbst schweigt an diesem Tag. Der SPD-Abgeordnete dürfte an der Abstimmung über die Aufhebung seiner Immunität teilnehmen. Schminke verlässt vorher das Plenum. Seine Stimme soll nicht den Ausschlag geben – obwohl Rot/ Grün nur über eine Stimme Mehrheit im Landtag verfügt.
Als die Hände hochgehen, hat Rot/Grün dennoch eine Mehrheit – kein Patt. Ein CDU-Abgeordneter hat nicht teilgenommen. Er konnte nicht.
KOMMENTAR, SEITE 4
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