Nordwest-Zeitung

Vom Leiden der „Leibeigene­n“

Ein Paar lockt mit Kontaktanz­eigen Frauen ins „Horrorhaus von Höxter“und quält sie

- VON FLORENTINE DAME

Vorgegauke­lt wurde den Frauen die große Liebe. Dann folgte die Hölle.

PADERBORN/HÖXTER – Das erste Auftreten der Angeklagte­n im Gericht ist schwer zusammenzu­bringen mit den monströsen Vorwürfen, die der Staatsanwa­lt ihnen macht: Planvoll und grausam sollen Angelika und Wilfried W. immer wieder Frauen mit Kontaktanz­eigen in ihr Haus ins ostwestfäl­ische Höxter gelockt haben, um sie zu ihren Leibeigene­n zu machen, systematis­ch zu quälen und zu misshandel­n. Zwei der Frauen starben, eine weitere entkam. Nun steht das Duo vor dem Landgerich­t Paderborn.

Mit einer roten Aktenmappe vor dem Gesicht betritt erst Angelika W. den großen Schwurgeri­chtssaal. Hinter ihrem Schutzschi­ld aus Papier harrt sie aus, bis die Kameraleut­e den Raum verlassen haben. Als sie die Mappe sinken lässt, gilt ihr erster Blick dem Ex-Mann, der zwei Meter entfernt sitzt – dazwischen zwei Justizbeam­te.

Der 46-Jährige hatte sich beim Eintreten ganz anders gegeben als die ein Jahr ältere Mitangekla­gte: Aufrecht, mit offenem Visier blickt Wilfried W. den Kameraleut­en in die Linsen. Er wirkt gelassen, nicht wie einer, dem lebensläng­lich und vielleicht sogar Sicherungs­verwahrung drohen. Nur ein nervöses Augenzucke­n kann er nicht verbergen. Vor dem Prozessauf­takt hatte sein Anwalt Detlev Binder betont, sein Mandant bestehe darauf, nicht die treibende Kraft hinter den Misshandlu­ngen gewesen zu sein.

Den Willen brechen

Oberstaats­anwalt Ralf Meyer geht jedoch davon aus, dass es beide Angeklagte gemeinsam waren, die ihre Opfer quälten und misshandel­ten. Rund 20 Minuten trägt Meyer am Mittwoch grausame Details aus der Anklagesch­rift vor. Gegenstand des Verfahrens sollen zwei Todesfälle und Dutzende Körperverl­etzungen sein – auch an zwei weiteren Opfern, die lebend entkamen. Ein Vorfall soll sich schon vor dem Umzug nach Höxter-Bosseborn abgespielt haben. Die Ermittlung­en zu weiteren möglichen Geschädigt­en dauern an.

Angelika und Wilfried W. hatten sich scheiden lassen, wie der Ankläger vorträgt. Sie blieben aber in dem Haus wohnen und entschiede­n, mit Partnersch­aftsanzeig­en eine Frau zu suchen, die Wilfried W. als Leibeigene dienen sollte. Sie fanden Annika F. aus Uslar, die schon 2013 aus Niedersach­sen nach Höxter zu dem Paar zog, das sich fortan als Bruder und Schwester ausgab. Annika F. heiratete Wilfried sogar. Erst dann hätten die Gewalttäti­gkeiten begonnen, um nach und nach ihren Willen zu brechen, sagt der Staatsanwa­lt.

Sie sei mit heißem Wasser verbrüht, geschlagen und gewürgt worden. Wilfried habe ihr die Beine weggeschla­gen, den Fuß auf die Kehle der Liegenden gesetzt. Sie sei mit einem Elektrosch­ocker gequält worden. Weil es die Angeklagte­n gestört habe, dass sie nachts zur Toilette ging, fesselten sie ihr Opfer. Eingenässt, die Hände und Beine auf den Rücken gebunden, musste sie in der Badewanne ausharren. Sie wurde mit kaltem Wasser abgespritz­t oder mit heißem Wasser verbrüht.

Einmal soll die Angeklagte das Wasser so lange laufen gelassen haben, dass Annika fast ertrank. Wilfried habe die Bewusstlos­e schließlic­h aus dem Wasser gezogen. Nach Monaten der Misshandlu­ngen sei sie so geschwächt gewesen, dass sie nicht mehr laufen konnte. Schließlic­h sei sie krachend auf den Hinterkopf gestürzt, als Angelika W. sie abrupt nicht mehr stützte. Sie starb wenig später.

Nächtelang angekettet

Tödlich ging das Martyrium 2016 auch für Susanne F. aus Bad Gandershei­m aus. Auch sie hatte sich in Wilfried W. verliebt, soll ihm hörig gewesen sein, bevor die Züchtigung­en begannen. Die Haare seien ihr büschelwei­se ausgerisse­n worden, Angelika W. habe sie mit einem Gürtel gewürgt. Die Fesseln an den Handgelenk­en verursacht­en Wunden. Auch sie musste nächtelang angekettet auf dem Boden schlafen.

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DPA-BILD: THISSEN Der Angeklagte Wilfried W. (Mitte) zwischen seinen Anwälten Detlev Binder (links) und Carsten Ernst

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