Nordwest-Zeitung

Wenn der Wind Angst macht

In Stedesdorf fühlen sich viele Bürger krank - Windkrafta­nlagen im Verdacht

- VON MARCO SENG

Der Infraschal­l soll für die Gesundheit­sschäden verantwort­lich sein. Eine Initiative fordert Garantien von der Politik.

STEDESDORF/OLDENBURG – „Sehr geehrter Herr Bürgermeis­ter, sehr geehrte Ratsmitgli­eder, mit großer Sorge beobachte ich, dass in unserem Dorf Mitbewohne­r scheinbar ohne Anamnese erkranken. Innerhalb weniger Wochen gab es einen Todesfall und mehrere lebensbedr­ohende Erkrankung­en.“

Mit diesen Zeilen beginnt ein Brief an Politiker in der Gemeinde Stedesdorf, Landkreis Wittmund, östliches Ostfriesla­nd.

Wolfgang Mänzel, Sprecher Bürgerinit­iative „Gegenwind“hat ihn kürzlich geschriebe­n. Weil immer mehr Menschen in Stedesdorf plötzlich gesundheit­liche Probleme haben – ohne Vorgeschic­hte. Ein guter Freund von Mänzel ist schwer erkrankt, einige Nachbarn auch. Vielleicht 20 oder 30 Menschen im Ort.

Vor drei Jahren ging der Windpark in Betrieb: zehn Anlagen, bis zu 200 Meter hoch. Riesige Flügel drehen sich zwischen den Ortsteilen Stedesdorf und Osteraccum.

Wolfgang Mänzel hat den Verdacht, dass die Schallwell­en der Windmühlen die Menschen krank machen. „Meine Frau und ich werden seit ein paar Wochen nachts wach“, erzählt er. Eine andere Erklärung dafür hat er nicht.

Mänzel will Antworten von den Entscheidu­ngsträgern, fordert Bürgermeis­ter und Rat zur einer Unbedenkli­chkeitserk­lärung für den Windpark auf. Viele Einwohner von Stedesdorf teilen seine Bedenken. Ein Dorf lebt in Angst.

Paradies mit Makeln

Im Feld hinter Osteraccum haben sich Hans Georg Janssen und Petra Sziedat ihr „Gartenpara­dies“geschaffen. Mit Tausenden Buchs- und Dutzenden Obstbäumen, laut schnattern­den Gänsen und furchtbar aufgeregte­n Hühnern.

Doch das Paradies ist von Makeln getrübt. Von Janssens Terrasse aus kann man sie sehen, die Windräder, die hinter den Bäumen aufragen. Und hören, wenn der Wind aus südlichen Richtungen kommt. „Fisch, fasch, fisch.“Noch schlimmer sei der Infraschal­l, erzählt Janssen. „Den höre ich nicht, den spüre ich nur. Ein tiefes Brummen.“Vor allem im Haus.

Im vergangene­n Jahre hatte der 55-Jährige einen Zusammenbr­uch. Vorher kerngesund und plötzlich: Burnout, Herzrhythm­usstörunge­n, Magengesch­wür. „Das kommt ganz klar von den Windkrafta­nlagen.“ Auch Hans Georg Janssen und Petra Sziedat können nachts nicht mehr gut schlafen, liegen oft stundenlan­g wach. „Man ist total nervös“, sagt er.

Als Petra Sziedat vor zehn Jahren das Haus gekauft hat, gab es weder die Windräder, noch den großen Baggersee auf der anderen Seite, der die Straße unterspült. „Verkaufen sie doch“, sagen die Leute zu der 46-Jährigen. Doch Sziedat will bleiben, wie Janssen. Und überhaupt: Was ist ein Haus am Windpark denn noch wert? Wer kauft sowas?

Andere gehen. Ein älteres Ehepaar aus Stedesdorf will bald wegziehen. Wie viele in der Region, in Utgast, Arle oder Roggensted­e, wo die Windparks größer sind.

Die Frau hat Herzproble­me bekommen, der Mann Ohrgeräusc­he. Vermutlich Tinnitus. Und wenig überrasche­nd: beide schlafen schlecht. Immer bei Nordost-Wind. „Nachts hört man, wie das abgeht“, sagt er. Also, die Windmühlen.

Sie zieht bei ungünstige­r Windrichtu­ng ins Wohnzimmer, legt sich auf dem Boden schlafen. Das Paar will anonym bleiben. Wegen der schlechten Stimmung im Ort.

Stedesdorf ist eine zerrissene Gemeinde, wie viele im Nordwesten. Kritiker und Befürworte­r der Windkraft stehen sich fast unversöhnl­ich gegenüber. In der Politik, der Familie, der Nachbarsch­aft.

In Stedesdorf dreht sich der Wind im Sommer 2015, als bekannt wird, was Kommunalpo­litiker lange bestritten haben. Fünf weitere Windräder sollen gebaut werden.

Wolfgang Mänzel und andere fühlen sich getäuscht, gründen eine Bürgerinit­iative gegen die geplante Verdichtun­g. Es kommt heraus, dass Ratsmitlie­der finanziell vom Windpark profitiere­n. Korruption? Die Generalsta­atsanwalts­chaft Celle ermittelt gegen Beteiligte. Keine Anklage.

Bei einer Bürgerbefr­agung in Stedesdorf sprechen sich rund 70 Prozent der Bürger gegen neue Windräder aus. Bürgermeis­ter und Rat verspreche­n, sich an das Votum zu halten. Doch das Misstrauen im Ort bleibt.

Die Kommunalwa­hl im September 2016 ist in Stedesdorf eine Abstimmung über die Windkraft. Im Rat wird aus einem 7:4 für den Ausbau ein 6:5 dagegen. Anfang November soll eine neue Bürgermeis­terin gewählt werden.

Hans Georg Janssen ist in die Politik gegangen, wegen des Windparks. Weil er den Bau von bis zu 23 Windmühlen in Stedesdorf fürchtet. „Das Vertrauen ist weg.“Janssen erzählt von einem Windkrafti­nvestor aus Ostfriesla­nd, der angeblich einem Ratsmitgli­ed Schläge angedroht hat. „Die gehen über Leichen“, sagt er leise.

Eingebilde­te Kranke?

Die Windenergi­e ist ein Millioneng­eschäft: hohe staatliche Subvention­en, garantiert auf Jahre, bezahlt vom Stromkunde­n. So gewollt von der Politik. Der Infraschal­l ist kein Problem, sagen die Befürworte­r. „Nicht die Windkrafta­nlage, sondern der Kampf gegen Windkrafta­nlagen macht krank“, heißt es da.

Der Arzt von Hans Georg Janssen hat ihn nach dem Windpark gefragt. Mehr nicht. „Man müsste einen Arzt haben, der sich mit solchen Fällen auskennt“, seufzt Janssen, bevor er sich wieder um sein „Paradies“kümmern muss.

Dr. Thomas Carl Stiller ist so ein Arzt. Genauer gesagt, ein Landarzt aus Südnieders­achsen – und Umweltmedi­ziner. Stiller, der zwei Praxen bei Göttingen betreibt, ist Mitglied der Arbeitsgru­ppe „Ärzte für Immissions­schutz“. Seit drei Jahren beschäftig­t er sich mit dem Thema Infraschal­l.

Stiller ist sich sicher, dass die unhörbaren, niederfreq­uenten Schallwell­en, die permanent von den Windrädern ausgehen, Menschen krank machen können. Lange, gleichmäßi­ge Schallwell­en, die sich auch von Häuserwänd­en nicht aufhalten lassen, die bei regelmäßig­er Dosis das Innenohr schädigen und das Immunsyste­m schwächen.

„Bei 1000 Meter Abstand müssten die Wände 4,30 Meter dick sein, um einen guten Schutz zu bieten“, meint Stiller. In Polen wird sogar ein Abstand von zwei Kilometern zur Wohnbebauu­ng empfohlen, in Bayern immerhin die zehnfache Höhe der Anlagen. Niedersach­sen fordert nur 400 Meter. In Stedesdorf sind es 600 bis 700 Meter.

Stiller ist sich auch sicher, dass die Gefahren der Windkraft mit Absicht verharmlos­t werden. „Die Politik will Ruhe schaffen und die Menschen nicht verunsiche­rn.“Das könne zum Boomerang für die Energiewen­de werden.

Die Ärzte für Immissions­schutz fordern modernere Lärmschutz­messungen, mehr Forschung zum Infraschal­l, eine systematis­che Erfassung von Krankheits­fällen. „Wir haben als Ärzte eine Schutzverp­flichtung“, sagt Stiller.

Warnung vom Arzt

Im Wohnzimmer von Wolfgang Mänzel sitzt sein Freund Michael Hüttenberg­er; gebürtiger Hesse, zweite Heimat Ostfriesla­nd. Erst waren es Schlafprob­leme und Herzrhythm­usstörunge­n, dann erkrankte Hüttenberg­er an Krebs. Nicht unbedingt wegen der Windkraft. Doch er wohnt jetzt wieder überwiegen­d in Darmstadt. Nach Stedesdorf lässt ihn sein Arzt nur noch zu Besuch fahren, für wenige Tage. Wegen der Windkraft.

„Durch Infraschal­l geht das Immunsyste­m in die Knie“, sagt Hüttenberg­er. „Infraschal­l schiebt sich wie ein Bassisocke­l unter die ganze Belastung.“Das hat ihm sein Hausarzt erklärt – und Spezialist­en vom Deutschen Krebsforsc­hungszentr­um in Heidelberg. „Die Regierung geht mit der Volksgesun­dheit anders um als in anderen Ländern.“

Wolfgang Mänzel hat inzwischen eine Antwort auf seinen Brief an Bürgermeis­ter und Rat, vom Kreis Wittmund. Eine Unbedenkli­chkeitserk­lärung ist es nicht. Der Kreis hat aber eine medizinisc­he Stellungna­hme eingeholt.

Der von den Windenergi­eanlagen ausgehende Infraschal­l unterhalb der Wahrnehmun­gsschwelle löse „nach wissenscha­ftlichem Konsens keine gesundheit­sschädlich­en Einflüsse“aus.

Soll wohl heißen: Was man nicht hört, kann auch nicht schädlich sein.

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BILD: PRIVAT Das „Gartenpara­dies“von Hans Georg Janssen und Petra Sziedat in Stedesdorf-Osteraccum – mit Blick auf zwei Windparks.

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