Nordwest-Zeitung

Anderssein ist eine Klasse für sich

Filmwettbe­werb für behinderte und nichtbehin­derte Schüler – Gewinner bei Berlinale

- VON LEA BERNSMANN

Unter Hunderten haben Schüler vom GAG und vom Landesbild­ungszentru­m für Hörgeschäd­igte einen Filmworksh­op gewonnen. In den Streifen geht es um Gerechtigk­eit.

OLDENBURG – Manchmal lachen sie. Oder sind gemein. Richtig fies. Andere gucken nur blöd. Starren. Zeigen mit dem Finger, reden böse. Fragen tun sie selten.

Dabei hat Justin viel zu sagen. Er kann sogar eine Geheimspra­che. Wie die Heldin in seinem Film. Die ist auch nicht normal, sondern anders. Und das ist gut so. Warum, werden vielleicht bald richtig viele Menschen im Kino sehen – bei der Berlinale, dem großen Festival für Cineasten.

Ob Justin es mit seinem Streifen auf den ersten Platz des Schüler-Kurzfilmwe­ttbewerbs „Ganz schön anders“schafft, erfährt er erst im Februar. Dann entscheide­t die Jury, welche Idee eine leinwandre­ife Inklusions­geschichte erzählt. Beworben haben sich bislang über 200 Nachwuchsf­ilmteams aus ganz Niedersach­sen, 50 von ihnen haben schon gewonnen: einen Workshop mit echten Profis.

Zwei Tage lang werden Justin und seine Schulkamer­aden des Landesbild­ungszentru­ms für Hörgeschäd­igte gemeinsam mit Gleichaltr­igen des Graf-Anton-GüntherGym­nasiums in Drehbuchsc­hreiben, Kameraführ­ung und Szenengest­altung trainiert. Zeitgleich bekommen Lehrer aus dem gesamten Norden mediale Nachhilfe.

Die Acht- bis Zehntkläss­ler drehen derweil zu Höchstleis­tungen auf: „Stilles Leid“beschäftig­t sich mit dem Thema Mobbing, „Die Schublade“befasst sich mit Ausländerf­eindlichke­it, in einem anderen ,Fünfminüte­r’ wird das Schicksal eines behinderte­n Skaters beschriebe­n, auch, wie ein hörgeschäd­igter Fußballer ins Abseits gerät, erfahren die Zuschauer. Justins Crew wird in ihrem Film ein taubstumme­s Mädchen den Mathelehre­r bei einer Prüfung überlisten lassen. „Sie sagt den anderen die Aufgaben vor. In Gebärdensp­rache“, sagt Julia.

So verschiede­n die Kurzfilme und ihre Macher sind, beschäftig­en sie sich alle mit Gerechtigk­eit und Ungerechti­gkeit. „Kennt doch jeder“, sagt Luisa. Die Gymnasiast­in erzählt von den Lästereien, als sie einmal so gute Noten hatte. „Meistens haben die Leute Angst. Oder einfach keine Ahnung“, sagt ihre Klassenkam­eradin Vanessa. Sie selbst könne sich inzwischen viel besser vorstellen, wie es Menschen wirklich gehe, die gar nichts hören können. Von denen hat sie auch ein bisschen Geheimspra­che gelernt.

„Das Projekt gibt den Kindern eine Stimme – allen“, sagt Jessica Lucht. Während die Koordinato­rin für Inklusion an Schulen über das Beseitigen von Barrieren in Köpfen und städtische­n Einrichtun­gen spricht, kramt Markus Götte Stative und Kameras hervor und stattet die Jugendlich­en mit passendem Rüstzeug aus. Der Journalist koordinier­t den Wettbewerb jetzt im dritten Jahr. Schüler des Landesbild­ungszentru­ms für Hörgeschäd­igte hat er für die letzten Sieger-Streifen als Dolmetsche­r in Gebärdensp­rache engagiert: „Diese Filme“, sagt er, „verbinden getrennte Welten.“Begeistert ist er von den vereinten Ideen der Schülergru­ppen. Fortsetzun­g folgt: Bis Mitte Januar werden Skripte entgegenge­nommen.

Wer es am Ende bis auf den roten Teppich der Berlinale schafft und eine Klassenfah­rt in der Hauptstadt verbringt, wird ganz demokratis­ch entschiede­n – auch das Publikum darf via YouTube abstimmen.

Wie das mit dem Lachen und Starren und Tuscheln, den ganzen Ungerechti­gkeiten aufhören kann, weiß Justin: „Anders sein muss egal werden.“Sein Film hat ein Happy End.

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BILD: LEA BERNSMANN Abgedrehte­r Unterricht: Markus Götte (hinten rechts) trainiert Schüler wie Justin und Sandra (rechts) im Filmemache­n.

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