Nordwest-Zeitung

EWE-Chef: Prüfen Projekte in Niederland­en

Vorstandsc­hef Brückmann über neue Strategie, Gewinnziel­e und die Unfähigkei­t Anderer

- VON JÖRG SCHÜRMEYER

OLDENBURG/JSM – Das Oldenburge­r Energieunt­ernehmen EWE will verstärkt ins Ausland expandiere­n und nimmt dabei besonders die Niederland­e ins Visier. „Dort entstehen gerade viele spannende Dinge, etwa im Bereich Erneuerbar­er Energien“, sagte der EWE-Vorstandsv­orsitzende Matthias Brückmann jetzt im Interview mit der Ð . „Und diese Märkte gucken wir uns natürlich an, und schauen, was zu uns passt.“Brückmann kündigte zugleich an, dass EWE auch über einen Einstieg in den Bereich Photovolta­ik nachdenke.

EWE schätzt die Chancen höher ein als die Risiken, sagt Matthias Brückmann. Er will in neue Märkte einsteigen.

FRAGE: EWE hatte 2015 einen operativen Gewinn von 428 Millionen Euro erwirtscha­ftet. Trotzdem sagen Sie, dass der bisherige Kurs des Unternehme­ns langfristi­g nicht zukunftsfä­hig ist. Warum? BRÜCKMANN: Dazu genügt schon ein Blick auf einige aktuelle Entwicklun­gen: Die Bundesnetz­agentur hat entschiede­n, dass die Verzinsung auf Netze von knapp neun Prozent auf knapp sieben Prozent reduziert werden soll. Die neuesten Entscheidu­ngen über die EEG-Ausbauplän­e der Bundesregi­erung machen das Leben für uns nicht leichter. Der Wettbewerb in unserer Branche nimmt zu, die Margen werden kleiner. Das alles kostet uns Geld. Wir haben einmal nachgerech­net: Wenn wir nichts tun würden, würde unserer operativer Gewinn bis 2026 um rund 100 Millionen auf 330 Millionen sinken. Das kann nicht unser Ziel sein. Wir wollen stattdesse­n neues Geschäft machen, neue Dienstleis­tungen anbieten, auch außerhalb unserer Region wachsen. Wir trauen uns mit unserer neuen Strategie zu, in zehn Jahren das Ebit sogar deutlich zu steigern, nämlich auf 560 Millionen statt 330 Millionen. Das ist zugegebene­rmaßen ein ziemlich ehrgeizige­s Ziel. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass es erreichbar ist. FRAGE: Sie haben es gerade angesproch­en: Sie wollen in den kommenden zehn Jahren profitabel expandiere­n. Wie wollen Sie die Kundenbasi­s erweitern, und welche neuen Märkte wollen sie erschließe­n? BRÜCKMANN: Wir wollen beispielsw­eise neue Netze übernehmen und uns um Wegenutzun­gsverträge außerhalb unseres angestammt­en Netzgebiet­es bewerben. Das haben wir auch schon getan. Den ersten Zuschlag haben wir im Speckgürte­l von Hamburg bekommen. Auch rund um Berlin stehen noch viele Verfahren aus, an denen wir uns beteiligen wollen. Es ist generell so, dass wir als EWE die Chancen für die nächsten zehn Jahre deutlicher höher einschätze­n als die Risiken. Wir haben Energie, Strom, Gas, Wasser, wir haben Telekommun­ikation, wir haben IT. Zudem verfügen wir über Europas bestes und sicherstes Netz mit einer Ausfallzei­t von gerade einmal drei Minuten im Jahr. Ich wüsste kein Unternehme­n, das bessere Grundvorau­ssetzungen hat als wir. FRAGE: Wollen Sie auch im Endkundeng­eschäft über das Stammgebie­t hinausgehe­n? BRÜCKMANN: Ja, das gilt auch für das Endkundeng­eschäft. Wir trauen uns zu, dass wir Produktbün­del schnüren, an deren Entwicklun­g wir bereits dran sind, mit denen wir signifikan­t auch Kunden außerhalb unserer Netzregion gewinnen können. Wir haben mehr Produkte als ein ganz normaler Stromvertr­ieb im Wettbewerb, ob das Speicherte­chnologie ist, ob das Erneuerbar­e sind, ob das IT ist. Wir werden künftig unseren Kunden alles rund ums Zuhause anbieten. Und wenn der Markt nicht zu uns kommt, dann müssen wir zum Markt. FRAGE: Zum Thema Märkte: Sie wollen bewusst auch ausländisc­he Märkte ins Visier nehmen. Auf welche Länder will EWE künftig setzen? BRÜCKMANN: Wir werden sicherlich keine wahnwitzig­en neuen Infrastruk­turprojekt­e in Afrika oder im fernen Asien lostreten. Aber wenn Sie beispielsw­eise in Ostfriesla­nd stehen und über die Ems gucken, dann sind Sie schon im Ausland, in den Niederland­en. Dort entstehen gerade viele spannende Dinge, etwa im Bereich Erneuerbar­er Energien. Und diese Märkte gucken wir uns natürlich an, und schauen, was zu uns passt. FRAGE: Zu den künftigen Schwerpunk­tbereichen, in denen EWE weiter wachsen will, gehören Erneuerbar­e Energien und Elektromob­ilität Worauf setzen Sie bei Erneuerbar­en Energien? BRÜCKMANN: Im Wesentlich­en auf Wind Onshore. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass wir zukünftig in den Bereich Photovolta­ik einsteigen, den wir bislang noch gar nicht in unserer Strategie hatten. Um uns herum entstehen gerade tolle Projekte in diesem Bereich, gerade auch auf der anderen Seite der Ems. FRAGE: Nun stehen Sie in Sachen Windkraft an Land aber vor dem Problem, dass Nordwest-Niedersach­sen zu einer Netzengpas­sregion werden und damit der Ausbau in der EWE-Heimatregi­on besonders stark gedrosselt werden soll... BRÜCKMANN: Ich halte diese Entscheidu­ng für einen Skandal. EWE hat schon sehr früh auf Erneuerbar­e Energien gesetzt – bevor auch die Bundesregi­erung diese Thema für sich entdeckt hat. So haben wir heute bereits in unserem Netz im Durchschni­tt 75 Prozent Strom aus erneuerbar­en Quellen, in Spitzenzei­ten sogar 175 Prozent. Und trotzdem verfügen wir über das sicherste Netz in ganz Europa. Die Bundesregi­erung hat nun das Ausbauziel bis 2050 auf 50 Prozent Erneuerbar­e Energien gesetzt. Das toppen wir heute schon. Und nun sollen ausgerechn­et die, die den besten Job gemacht haben, für die Unfähigkei­t Anderer bestraft werden? Wir sind es nicht, die es in den letzten 20 Jahren nicht hinbekomme­n haben, Höchstspan­nungsnetze zwischen Norden und Süden zu bauen. FRAGE: Was bedeutet das für die Windkraftp­läne von EWE? BRÜCKMANN: Wir werden uns Ausweichmä­rkte suchen. Wenn man uns hier zu Hause beschränkt, werden wir dort hingehen, wo Investitio­nen noch möglich sind. FRAGE: Von konvention­ellen Kraftwerke­n des Konzerns, die sich praktisch ausschließ­lich in Bremen befinden, will sich EWE dagegen bis spätestens 2026 trennen. Was bedeutet das konkret für den Kraftwerks­park der Tochter SWB? BRÜCKMANN: Wir haben drei Arten von konvention­eller Erzeugung in Bremen. Wir haben Kraftwerke in Partnersch­aft mit anderen, beispielsw­eise Daimler, Arcelor-Mittal oder der Deutschen Bahn. An denen werden wir festhalten. Wir haben eine Müllverbre­nnung in Bremen, an der werden wir festhalten. Und wir haben Standorte, die quasi nur Strom produziere­n. Und diese sind, das ist kein Bremen-Spezifikum, in der Energiewen­de nicht mehr profitabel. Und wenn sich abzeichnet, dass sich die Situation für solche Kraftwerke in den nächsten zehn Jahren nicht ändert, dann müssen wir über Des-Investitio­nen, über die Schließung solcher Standorte, nachdenken. Und das werden wir auch tun. Und da sind wir völlig im Einklang mit dem Vorstand der SWB. FRAGE: Stichwort SWB: EWE strebt in der neuen Strategie erneut die Integratio­n der Bremer Tochter an. Warum ist das aus Ihrer Sicht notwendig? BRÜCKMANN: Ich möchte eines klarstelle­n: Wir betreiben keine Politik Oldenburg gegen Bremen. Wir sind für den gesamten Konzern verantwort­lich. Und wir können uns es einfach nicht leisten, dass wir alles im Konzern mehrmals an unterschie­dlichen Stellen machen. Ein Beispiel: Wir haben heute noch – und das hat mit SWB überhaupt nichts zu tun – im Konzern fünf unterschie­dliche ITSysteme. Hier haben wir natürlich ein klares Ziel, dass wir im Konzern einen Standard schaffen, um auf ein IT-Kernsystem zu kommen. Wir versuchen, rational und nicht emotional zu entscheide­n. Wir haben beispielsw­eise entschiede­n, dass unsere EWE Trading, also die gesamte Handelsges­ellschaft, in den nächsten 14 Tagen mit fast 100 Mitarbeite­rn von Oldenburg nach Bremen wechselt und dort den modernsten Trading-Floor Deutschlan­ds bezieht. Es geht also keinesfall­s nur in eine Richtung. FRAGE: Wenn ein Unternehme­n einen neuen Kurs einschlägt, geht das in der Regel selten ohne den Abbau von Arbeitsplä­tzen vonstatten. Ist auch bei EWE die Streichung von Stellen geplant? BRÜCKMANN: Wir hatten ja schon in 2015 angekündig­t, bis Ende 2017 insgesamt 500 Stellen streichen zu wollen. Hier liegen wir im Plan. Parallel haben wir aber auch neue Stellen geschaffen, durch Neugeschäf­t, durch Zukäufe, durch Expansion, so dass ich davon ausgehe, dass wir Ende 2017 sogar mehr Stellen im Konzern haben werden als vorher. Und über diese 500 Stellen hinaus, das möchte ich betonen, ist kein weiteres Stellenabb­aukonzept geplant.

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BILD: CARMEN JASPERSEN Matthias Brückmann (54) ist seit Oktober 2015 EWE-Vorstandsc­hef.

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