Nur noch stolz
Je länger etwas dauert, desto lahmer reagiert offenbar unser Gedächtnis. Anders gesagt, es geht uns wie den Bürgern von Paris mit einem gewissen Eisenfachwerkturm: Erst wollte man das Teil partout nicht, heute verehrt man den Eiffelturm als Wahrzeichen. Ähnliches läuft in unserem Bewusstsein gerade in puncto Elbphilharmonie ab, angesichts jener Geldverbrennungsanlage, deren Bauzeit sich letztlich fast zehn Jahre hinzog, deren Baukosten mal eben von geplanten läppischen 77 Millionen Euro auf inzwischen 789 Millionen gestiegen sind.
Nun, wo wir das (fast) fertige, am Freitag offiziell übergebene Gebäude vor uns sehen, mal reinschnuppern dürfen, die Architektur genießen, das Weltmännische und gewiss bald Berühmte ahnen, wendet sich das Blatt. Kritik weicht dem Stolz. Einstige Grantler schwärmen mit glänzenden Augen, rufen „atemberaubend“und sprechen von einem „Haus für alle“. Wahrlich, das sollte es auch sein, da alle kräftig dazu beigetragen haben. Vor allem finanziell.
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Es waren zwei schlechte Wochen für die Börsen. Der Grund ist politisch: Börsianer sorgen sich, dass Donald Trump US-Präsident wird. Erstmals überholte er diese Woche Kontrahentin Hillary Clinton in Meinungsumfragen, nachdem diese zuvor lange vorn gelegen hatte.
Am kommenden Dienstag wählen die Amerikaner. Fest steht: Selten waren zwei Kandidaten so unbeliebt. Beide! Der eine ein unberechenbarer Soziopath und Frauennötiger. Die andere eine Vertreterin des ungeliebten Establishments mit Hang zur Regulierungswut. An der Wall Street ist die Präferenz klar eine USPräsidentin Clinton. Nicht nur weil sie in der Finanzindustrie bestens verdrahtet ist, was u.a. ihre hochhonorierten Vorträge bei US-Investmentbanken wie Goldman Sachs zeigen. Entscheidender ist, dass Clinton in der Wirtschafts- und Finanzpolitik für Kontinuität steht. Zwar hat sie im Fall ihrer Wahl Steuererhöhungen für Gutverdiener und eine höhere Besteuerung der Auslandsgewinne von Unternehmen angekündigt. Doch sie will weder die Staatsausgaben exorbitant erhöhen, um wie Trump gigantische Steuersenkungen zu finanzieren – hier fragt selbst die Wall Street nach der schmerzhaften Finanzkrise mittlerweile nach dem richtigen Maß der Dinge – noch will Clinton, so wie es Trump plant, die Handelspolitik derart ändern, dass alle bisherigen Verträge zur Makulatur werden. Wichtig ist darüber hinaus für die Wall Street ein Punkt, der bislang kaum diskutiert wird. Die künftige Rolle der Geldpolitik. Auch hier will Clinton alles belassen wie es ist. Ganz anders Trump. Er möchte nach seiner Wahl Notenbankchefin Janet Yellen, deren Vertrag 2018 ausläuft, ersetzen. Mit ihrem eingeschlagenen Pfad moderater Leitzinserhöhungen würde sie Trumps Pläne konterkarieren. Zudem forciert Trumps RepublikanerPartei im Kongress ein Gesetz, das die Unabhängigkeit der Notenbank begrenzen soll. Wäre nach der Wahl am Dienstag auch der Kongress republikanisch dominiert, bestünde die Gefahr, dass der Notenbank künftig die Geldpolitik diktiert wird.
Last but not least spielt die Frage des Protektionismus eine große Rolle. Trump will das Handelsabkommen mit Mexiko kündigen, elf Millionen registrierte Einwanderer, die meist für Niedriglohn arbeiten, sofort ausweisen. Es würde die US-Inlandsnachfrage drücken, die Löhne anheizen. Trump droht zudem mit Schutzzöllen für asiatische und chinesische Firmen. Kurioserweise lässt dies die Chinesen bislang relativ kalt. Sie stehen bereit, das Vakuum, das im pazifischen Raum entstünde, zu füllen. Peking würde dann als starker Anker für die umliegenden Länder noch interessanter werden. Wer immer die US-Wahl gewinnt – es wird sich zeigen, was von der Wahlkampf-Rhetorik übrig bleibt.