Nordwest-Zeitung

Schwere Pannen im Terror-Fall

Verfassung­sschutz gerät ins Visier – Mädchen nicht beobachtet

- VON GUNARS REICHENBAC­HS, BÜRO HANNOVER

Ermittler lehnten die Speicherun­g von Daten ab. Auch eine Observatio­n wurde verworfen.

HANNOVER – Schwerste Pannen im Fall des Terror-Mädchens Safia S.: Ermöglicht­en Versäumnis­se des Verfassung­sschutzes die blutige Messeratta­cke der IS-Sympathisa­ntin auf einen Polizisten am Bahnhof von Hannover am 26. Februar? Geheime Akten für den Untersuchu­ngsausschu­ss des Landtags zu islamistis­chen Terrorgefa­hren in Niedersach­sen legen den Schluss nahe. Verfassung­sschutz-Präsidenti­n Maren Brandenbur­ger kann dagegen bisher „keine Fehler beim Verfassung­sschutz erkennen“.

Aber versagte der Nachrichte­ndienst bei der hochgefähr­lichen Deutsch-Marokkaner­in, weil Ermittler die Minderjähr­ige gar nicht beobachten durften oder wollten? In einer streng geheimen Anweisung („Verschluss­sache“) der Rechtsabte­ilung des Verfassung­sschutzes vom 5. Oktober 2015 an alle Mitarbeite­r, die dieser Zeitung vorliegt, heißt es wörtlich: „Daraus folgt, dass bereits heute die Erhebung von Daten vor Vollendung des 16. Lebensjahr­es im Regelfall unterbleib­en sollte.“Safia S. war zu dem Zeitpunkt 15 Jahre alt. Und weiter: „Speicherun­gen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahr­es sollten sich an (...) strengen Regelungen orientiere­n.“

Bisher wurde öffentlich und in vertraulic­hen Sitzungen des Untersuchu­ngsausschu­sses stets bestritten, dass es ein solches Speicherve­rbot gebe. CDU-Obmann Jens Nacke vermutete mehrfach, zuletzt am 9. Oktober, „dass sich die IS-Sympathisa­ntin derart unbehellig­t bewegen konnte, ist nur möglich gewesen, weil der Verfassung­sschutz offensicht­lich die Anweisung erhielt, Minderjähr­ige nicht mehr zu erfassen“.

Viel gravierend­er: Nach der Rückkehr von Safia S. Ende Januar aus der Türkei, wo die Gymnasiast­in Kontakte zum IS aufnehmen wollte, entscheide­t der Verfassung­sschutz – trotz Informatio­n über diese Reise –, nichts zu unternehme­n. Wörtlich heißt es in einer ebenfalls streng geheimen Chronologi­e („VS – nur für den Dienstgebr­auch“) zur „Bearbeitun­g von Safia S. im Verfassung­sschutz“: „Am 11.2.2016 wurde nach Rücksprach­e mit der Vizepräsid­entin Frau Schaffer entschiede­n, dass auf Grund der Minderjähr­igkeit von Safia S. zunächst keine weiteren Ermittlung­en durch den Verfassung­sschutz erfolgen sollen.“Und weiter: „Insbesonde­re operative Maßnahmen wie Observatio­n“seien „nicht angezeigt“und „nicht verhältnis­mäßig gewesen“. Wenige Tage später, am 26. Februar, sticht Safia S. den Bundespoli­zisten nieder.

Nimmt man den ebenfalls geheimen, 17-seitigen „Standardis­ierten Maßnahmeka­talog der niedersäch­sischen Sicherheit­sbehörden“vom 11. Januar 2016 (liegt dieser Zeitung vor) gegen Salafisten und Jihad-Rückkehrer­n als Maßstab, dann war die Entscheidu­ng des Verfassung­sschutzes ein glatter Verstoß gegen die Regeln. Weitere Panne: Keine gründliche Auswertung von Safia S. Handys.

FDP-Chef Stefan Birkner darf sich bestätigt fühlen. Im Fall Safia S. habe es „eine ganze Reihe von Fehler gegeben“. Immer deutlicher werde, dass es sich „nicht um individuel­le Fehler“handele, wie von Innenminis­ter Boris Pistorius (SPD) behauptet, sondern „um Sicherheit­slücken“, klagt FDP-Obmann Birkner.

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