Schüler verinnerlichen Leidensweg
BBS Haarentor gestaltet Gedenken an Reichspogromnacht – Biografien recherchiert
Mehrere Klassen waren an der Vorbereitung beteiligt. Den Erinnerungsgang gibt es auch als Geocaching-Tour.
OLDENBURG – Am Abend des 9. November 1938 sitzt die lokale Prominenz der NSDAP bei der Geburtstagsfeier für ihren Kreisleiter Wilhelm Engelbart in Papes Hotel am Heiligengeistwall, als die telefonischen Anweisungen aus der SA-Zentrale in München eingehen: Die Synagoge an der Peterstraße soll in Brand gesteckt, die jüdische Einwohnerschaft inhaftiert werden.
Die Feuerwehr bekommt nachts um 1.15 Uhr den Befehl, nicht einzugreifen, wenn bei der Synagoge in der Peterstraße „etwas los sein“sollte. Um 1.27 Uhr wird die Feuerwehr tatsächlich alarmiert, das jüdische Gotteshaus brennt schon lichterloh. „Abholtrupps“der SA treiben rund 350 Juden auf dem Pferdemarkt zusammen. Nach einigen Stunden kommen Frauen und Kinder wieder frei; die Männer, der jüngste 15, der älteste über 80 Jahre alt, bleiben in der Polizeikaserne, in der sich heute die Landesbibliothek befindet, eingesperrt. Für sie folgt am Vormittag des 10. November, während die Ruine der Synagoge noch schwelt, der entwürdigende „Judengang“. Von SA-Männern begleitet, müssen sie über Peterstraße, Friedensplatz, Haarenstraße, Lange Straße, Schloßplatz und Elisabethstraße zum Gerichtsgefängnis ziehen. Am nächsten Morgen fährt der Sonderzug zum KZ Sachsenhausen.
Die Route, auf der Oldenburger Juden vor 78 Jahren unter Hohn und Spott von Bürgern durch die Stadt getrieben wurden, laufen am kommenden Donnerstag Hunderte von Schülern nach. Mit dem „Erinnerungsgang“setzt Oldenburg seit 1981 ein Zeichen des Gedenkens. Seit 2005 übernimmt jährlich eine Oldenburger Schule die Schirmherrschaft. Diesmal ist es die BBS Haarentor – mehrere Klassen sowie ein vielköpfiges Team aus dem Kollegium waren an der Umsetzung beteiligt. „Seit wir vor einem Jahr symbolisch die Öllampe mit dem Licht, das von Schule zu Schule übertragen wird, erhalten haben, laufen die Vorbereitungen“, sagt Schulleiter Diedrich Ahlfeld.
Das diesjährige Leitbild „Verinnerlichen, weitergeben & weiterleben“hat Elisabeth Drab mit ihrer Abitur-Klasse erarbeitet: „Es soll zeigen, dass die Erinnerung über einen bestimmten Tag hinaus gehen muss. Wer die Lehren aus der NS-Zeit verinnerlicht hat, ist wachsam gegenüber rechtspopulistischen Strömungen“, so die Lehrerin.
Der Erinnerungsgang beginnt am 10. November um 15 Uhr im Innenhof der Landesbibliothek. Fabian Schlums, Fachinformatiker Systemintegration im 3. Ausbildungsjahr, wird die Ansprache halten. Der eineinhalbstündige Marsch endet auf dem Gefängnishof der ehemaligen JVA in der Gerichtsstraße. Dort werden die Schüler Luca Ike, Jan-Ole Meissner, Jana Klumpmann und Annkatrin Kempa zu den Teilnehmern sprechen. „Alle Schulen sind zur Teilnahme eingeladen“, hofft BBS-Schulleiter Diedrich Ahlfeld auf starke Resonanz.
Flankiert wird der Erinnerungsgang durch einen Flyer, den Medienkaufleute Digital und Print im 3. Ausbildungsjahr unter der Regie ihres Lehrers Knut Harms kreiert haben. Von Schülern der Fachoberschule Informatik hat Harms zudem für den „Arbeitskreis Erinnerungsgang“eine neue Homepage erstellen lassen.
Ausstellungen begleiten den Gedenktag: Die Lehrkräfte Elke Brümmer, Michael Hibbeler und Jana Huhn haben in den Schularchiven zu den Biografien von 16 jüdischen Schülerinnen und Schülern der Handelslehranstalten, der Vorläuferschule der BBS Haarentor, recherchiert und die Ergebnisse mit Schülern des 12. Jahrgangs des Wirtschaftsgymnasiums aufbereitet. Ein Beispiel ist das Schicksal des damals 17jährigen Norbert Vogel, der am 10. November 1938 mit seinem Vater inhaftiert und ins KZ Sachsenhausen deportiert wurde. Der junge Mann kam wenig später wieder frei und emigrierte im selben Jahr mit seiner Familie nach Chile.
In einer weiteren Ausstellung werden Schülerarbeiten von Zwölftklässlern der Fachoberschule Gesundheit und die Ergebnisse der Examensarbeit von Referendarin Nadine Andreßen zum Thema „Chemie im Nationalsozialismus“vorgestellt. Es geht unter anderem um Pervitin, dem Vorläufer von Chrystal Meth, das von den Nazis millionenfach verwendet wurde, um bei Soldaten das Angstgefühl zu dämpfen und die Leistungsfähigkeit zu steigern.
Wer den Erinnerungsgang am Donnerstag nicht mitmachen kann, die Stationen aber erleben möchte, für den haben Schüler der Fachoberschule Informatik schon im vergangenen Schuljahr eine Geocaching-Tour entwickelt. Sie ist abrufbar unter
@ https://coord.info/GC6HZ9T
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