Harter Wettbewerb über den Wolken
Billigflieger machen Reisen in Europa günstig – Passagiere müssen genau hinsehen
Billigflieger wie Ryanair oder Easyjet greifen in Europa weiter an. Das hat Konsequenzen für Flugreisende.
BERLIN – Entlassungen bei Air Berlin, Chaos bei Tuifly: Die deutsche Luftfahrt steckt in der Krise. Ryanair, Easyjet und andere Billigflieger wittern ihre Chance und drängen zunehmend von den kleinen Flughäfen auf die großen Drehkreuze. Denn sogenannte Low-Cost-Flüge sind mittlerweile eher der Standard, zumindest in Europa. Das hat Konsequenzen für Flugreisende – und die sind oft sehr erfreulich: MEHR AUSWAHL
Auch wenn Air Berlin sein Streckennetz verkleinern muss – mit Blick auf Europa entsteht eher mehr Auswahl am Himmel. Im harten Preiskampf haben die etablierten Fluggesellschaften das Geschäftsmodell der Billigflieger adaptiert: Das ist an Eurowings (Lufthansa), Vueling (British Airways/Iberia) und Transavia (KLM/Air France) zu sehen. Norwegian bietet auf vielen Nordeuropa-Strecken günstige Flüge, die ungarische Wizz Air und die rumänische Blue Air fliegen für wenig Geld nach Osteuropa.
Die Billigflieger konzentrieren sich auf Direktflüge ohne Umsteigen und verkaufen Sitze vor allem einzeln über die eigene Internetseite, erklärt Prof. Christoph Brützel vom Aviation Department der Internationalen Fachhochschule in Bad Honnef. Jeder Zusatzservice – vom Wunschsitzplatz bis zum Essen – kostet extra. GÜNSTIGE PREISE
Der Wettbewerb über den Wolken erhöht die Chancen auf günstige Preise. Peter Berster vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) führt als Beispiele die Strecken Köln-Berlin mit den Wettbewerbern Ryanair, Eurowings und Air Berlin sowie München-Berlin mit Transavia, Lufthansa und Air Berlin an.
Die Zahl der Strecken mit preisgünstigen Flugangeboten nimmt durch die Konkurrenz zu. Auch die großen Premium-Airlines müssen ihre Preise anpassen.
MEHR STRECKEN
Vor allem Köln/Bonn, Berlin-Schönefeld und Stuttgart profitierten laut einer DLRAnalyse vom großen Angebot bei den Billigfliegern. Ryanair baut das Angebot ab Berlin massiv aus, 19 neue Sommerziele stehen nächstes Jahr im Flugplan. Im November eröffnen die Iren außerdem neue Basen in Hamburg und Nürnberg. Ab der Hansestadt gibt es sieben neue Ziele, unter anderem dreimal wöchentlich Gran Canaria. Nürnberg bekommt fünf neue Strecken, darunter tägliche Verbindungen nach Rom und Budapest.
Easyjet fliegt in Deutschland im Winterflugplan 2016/17 auf 75 Strecken ab sieben Flughäfen: BerlinSchönefeld, Dortmund, München, Hamburg, Dresden, Stuttgart und Friedrichshafen. Neu sind dabei fünf Routen, etwa die nach La Palma ab Berlin, wo die Airline ihre Hauptbasis in Deutschland hat. Auf kleineren Flughäfen machen sich noch andere Fluggesellschaften breit – wie Wizz Air in Karlsruhe, Dortmund und Hannover. LANGSTRECKEN
Die Billigflieger drängen auch auf die Langstrecke. Möglich wird das durch neue Flugzeugtypen wie die Boeing 787 oder Reichweitenverstärkungen bei klassischen Modellen wie Airbus A320 oder Boeing 737.
Eurowings fliegt mit dem Airbus A330 von Köln-Bonn zum Beispiel nach Bangkok und Phuket in Thailand oder nach Miami, Mexiko und in die Dominikanische Republik. Hinzu kommen ab 15. Dezember Direktflüge nach Havanna und ab Juli 2017 nach Las Vegas.
Norwegian hat schon zahlreiche Transkontinental-Verbindungen mit der Boing 787 im Angebot, etwa von London-Gatwick nach Los Angeles. Die Isländer von Wow Air bieten günstige NordamerikaFlüge mit Stopp in Reykjavík an. WENIGER UNTERSCHIEDE
Billigflieger oder etablierte Airline? Diese Aufteilung ist oft kaum noch sichtbar. Viele gefühlte Tatsachen träfen gar nicht mehr zu, sagt Prof. Christoph Brützel vom Aviation Department der Internationalen Fachhochschule in Bad Honnef.
Beispiel Handgepäck: „Die Höchstmaße und -gewichte sind bei klassischen Carriern inzwischen oft niedriger als bei Ryanair, Wizz Air und Easyjet.“Oder der Sitzabstand: „Der ist bei Lufthansa in der Economy genauso eng wie bei Ryanair, bei Air Berlin sogar noch enger.“
Und die Pünktlichkeit? Da gibt es zwischen Premium und Low Cost in der Regel keine Unterschiede. Ein Negativbeispiel ist laut dem Portal Fairplane allerdings die Airline Eurowings. FAZIT
Keine Frage, die Billigflieger machen ihrem Namen alle Ehre – und das Reisen in Europa ziemlich günstig. Gleichzeitig muss der Passagier so genau hinsehen wie noch nie: Die Billigflieger lassen sich jeden Service bezahlen, und auch die Premium-Fluggesellschaften bieten zunehmend verschiedene Tarife an – deren Light-Pakete ähneln im Leistungsumfang eher den Billigangeboten von Ryanair und Co.
Bei den Billigfliegern gibt es aber auch Nachteile. Zum einen ist die Anreise zu manchen Flughäfen wie FrankfurtHahn oder Düsseldorf-Weeze länger. Und dann ist da das Thema Fluggastrechte. In den meisten Fällen würden berechtigte Entschädigungsforderungen zunächst abgelehnt oder ignoriert, erklärt das Fluggastrechte-Portal Flightright.
Ryanair gilt als schwarzes Schaf. Ob das die Beliebtheit letztlich schmälert, ist aber sehr fraglich. Insbesondere in Zeiten, wo ein Ferienflieger wie Tuifly wegen massenhafter Krankschreibungen der Crews Dutzende Flüge ausfallen lässt und erklärt, keine Entschädigung zahlen zu wollen.