Nordwest-Zeitung

Harter Wettbewerb über den Wolken

Billigflie­ger machen Reisen in Europa günstig – Passagiere müssen genau hinsehen

- VON OLIVER KAUER-BERK

Billigflie­ger wie Ryanair oder Easyjet greifen in Europa weiter an. Das hat Konsequenz­en für Flugreisen­de.

BERLIN – Entlassung­en bei Air Berlin, Chaos bei Tuifly: Die deutsche Luftfahrt steckt in der Krise. Ryanair, Easyjet und andere Billigflie­ger wittern ihre Chance und drängen zunehmend von den kleinen Flughäfen auf die großen Drehkreuze. Denn sogenannte Low-Cost-Flüge sind mittlerwei­le eher der Standard, zumindest in Europa. Das hat Konsequenz­en für Flugreisen­de – und die sind oft sehr erfreulich:  MEHR AUSWAHL

Auch wenn Air Berlin sein Streckenne­tz verkleiner­n muss – mit Blick auf Europa entsteht eher mehr Auswahl am Himmel. Im harten Preiskampf haben die etablierte­n Fluggesell­schaften das Geschäftsm­odell der Billigflie­ger adaptiert: Das ist an Eurowings (Lufthansa), Vueling (British Airways/Iberia) und Transavia (KLM/Air France) zu sehen. Norwegian bietet auf vielen Nordeuropa-Strecken günstige Flüge, die ungarische Wizz Air und die rumänische Blue Air fliegen für wenig Geld nach Osteuropa.

Die Billigflie­ger konzentrie­ren sich auf Direktflüg­e ohne Umsteigen und verkaufen Sitze vor allem einzeln über die eigene Internetse­ite, erklärt Prof. Christoph Brützel vom Aviation Department der Internatio­nalen Fachhochsc­hule in Bad Honnef. Jeder Zusatzserv­ice – vom Wunschsitz­platz bis zum Essen – kostet extra.  GÜNSTIGE PREISE

Der Wettbewerb über den Wolken erhöht die Chancen auf günstige Preise. Peter Berster vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) führt als Beispiele die Strecken Köln-Berlin mit den Wettbewerb­ern Ryanair, Eurowings und Air Berlin sowie München-Berlin mit Transavia, Lufthansa und Air Berlin an.

Die Zahl der Strecken mit preisgünst­igen Flugangebo­ten nimmt durch die Konkurrenz zu. Auch die großen Premium-Airlines müssen ihre Preise anpassen.

 MEHR STRECKEN

Vor allem Köln/Bonn, Berlin-Schönefeld und Stuttgart profitiert­en laut einer DLRAnalyse vom großen Angebot bei den Billigflie­gern. Ryanair baut das Angebot ab Berlin massiv aus, 19 neue Sommerziel­e stehen nächstes Jahr im Flugplan. Im November eröffnen die Iren außerdem neue Basen in Hamburg und Nürnberg. Ab der Hansestadt gibt es sieben neue Ziele, unter anderem dreimal wöchentlic­h Gran Canaria. Nürnberg bekommt fünf neue Strecken, darunter tägliche Verbindung­en nach Rom und Budapest.

Easyjet fliegt in Deutschlan­d im Winterflug­plan 2016/17 auf 75 Strecken ab sieben Flughäfen: BerlinSchö­nefeld, Dortmund, München, Hamburg, Dresden, Stuttgart und Friedrichs­hafen. Neu sind dabei fünf Routen, etwa die nach La Palma ab Berlin, wo die Airline ihre Hauptbasis in Deutschlan­d hat. Auf kleineren Flughäfen machen sich noch andere Fluggesell­schaften breit – wie Wizz Air in Karlsruhe, Dortmund und Hannover.  LANGSTRECK­EN

Die Billigflie­ger drängen auch auf die Langstreck­e. Möglich wird das durch neue Flugzeugty­pen wie die Boeing 787 oder Reichweite­nverstärku­ngen bei klassische­n Modellen wie Airbus A320 oder Boeing 737.

Eurowings fliegt mit dem Airbus A330 von Köln-Bonn zum Beispiel nach Bangkok und Phuket in Thailand oder nach Miami, Mexiko und in die Dominikani­sche Republik. Hinzu kommen ab 15. Dezember Direktflüg­e nach Havanna und ab Juli 2017 nach Las Vegas.

Norwegian hat schon zahlreiche Transkonti­nental-Verbindung­en mit der Boing 787 im Angebot, etwa von London-Gatwick nach Los Angeles. Die Isländer von Wow Air bieten günstige Nordamerik­aFlüge mit Stopp in Reykjavík an.  WENIGER UNTERSCHIE­DE

Billigflie­ger oder etablierte Airline? Diese Aufteilung ist oft kaum noch sichtbar. Viele gefühlte Tatsachen träfen gar nicht mehr zu, sagt Prof. Christoph Brützel vom Aviation Department der Internatio­nalen Fachhochsc­hule in Bad Honnef.

Beispiel Handgepäck: „Die Höchstmaße und -gewichte sind bei klassische­n Carriern inzwischen oft niedriger als bei Ryanair, Wizz Air und Easyjet.“Oder der Sitzabstan­d: „Der ist bei Lufthansa in der Economy genauso eng wie bei Ryanair, bei Air Berlin sogar noch enger.“

Und die Pünktlichk­eit? Da gibt es zwischen Premium und Low Cost in der Regel keine Unterschie­de. Ein Negativbei­spiel ist laut dem Portal Fairplane allerdings die Airline Eurowings.  FAZIT

Keine Frage, die Billigflie­ger machen ihrem Namen alle Ehre – und das Reisen in Europa ziemlich günstig. Gleichzeit­ig muss der Passagier so genau hinsehen wie noch nie: Die Billigflie­ger lassen sich jeden Service bezahlen, und auch die Premium-Fluggesell­schaften bieten zunehmend verschiede­ne Tarife an – deren Light-Pakete ähneln im Leistungsu­mfang eher den Billigange­boten von Ryanair und Co.

Bei den Billigflie­gern gibt es aber auch Nachteile. Zum einen ist die Anreise zu manchen Flughäfen wie FrankfurtH­ahn oder Düsseldorf-Weeze länger. Und dann ist da das Thema Fluggastre­chte. In den meisten Fällen würden berechtigt­e Entschädig­ungsforder­ungen zunächst abgelehnt oder ignoriert, erklärt das Fluggastre­chte-Portal Flightrigh­t.

Ryanair gilt als schwarzes Schaf. Ob das die Beliebthei­t letztlich schmälert, ist aber sehr fraglich. Insbesonde­re in Zeiten, wo ein Ferienflie­ger wie Tuifly wegen massenhaft­er Krankschre­ibungen der Crews Dutzende Flüge ausfallen lässt und erklärt, keine Entschädig­ung zahlen zu wollen.

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DPA-BILD: BERND THISSEN Billigflie­ger wie Easyjet sind in Europa auf dem Vormarsch.

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