Nordwest-Zeitung

Auferstand­en aus Ruinen

Vom Triumph, Niedergang und Wiedererst­arken der FDP

-

Vier Jahre waren die Liberalen auf Bundeseben­e jetzt in der außerparla­mentarisch­en Opposition. Der Wahlsonnta­g in Nordrhein-Westfalen hat der FDP einen heftigen Schub gegeben mit 12,6 Prozent – und verschafft­e der Partei ihr bisher bestes Ergebnis in NRW. Der alte Rekord stammt aus dem Jahr 1950 mit 12,1 Prozent. Wird auch auf Bundeseben­e wieder alles gut?

Dazu lohnt ein Rückblick: Als die FDP bei der Bundestags­wahl am 27. September 2009 mit Guido Westerwell­e das beste Ergebnis ihrer Geschichte (14,6 Prozent) erreichte und zurück an die Macht kam, herrschte in der Partei Euphorie, und Westerwell­e berauschte sich an sich selbst. Der Parteivors­itzende war im Alter von 47 Jahren an seinem Ziel: Er wurde wie sein großes Vorbild Hans-Dietrich Genscher Außenminis­ter und Vizekanzle­r. Nach dem Durchbruch bei den Koalitions­verhandlun­gen mit Angela Merkel (CDU) und seinem neuen Duz-Freund Horst Seehofer (CSU) in der Nacht zum 25. Oktober 2009 hatte Westerwell­e sogar vier Ministerie­n für seine FDP herausgesc­hlagen. Teufelsker­l.

Auf der Strecke blieben dabei aber gleich nicht nur der im Wahlkampf propagiert­e Subvention­sabbau, die Lockerung des Kündigungs­schutzes und die von der FDP vehement geforderte dreistufig­e Steuerrefo­rm, sondern auch deren Vater Herrmann Otto Solms. Dem war versproche­n worden, Finanzmini­ster zu werden. Es wurde Wolfgang Schäuble (CDU).

Solms wurde in einer Schmierenk­omödie beim FDP-Sonderpart­eitag am 5. November 2009 mit einem dicken Blumenstra­uß verabschie­det. Der damals 68-jährige Solms weinte, aber den überwiegen­d jungen Gefolgsleu­ten von Westerwell­e war das egal. Ein Mann aus einer anderen Zeit.

Doch es gab auch danach keinen in Berlin, der dem FDP-Messias widersprac­h. Westerwell­e schwebte durch den Reichstag und sein Ministeriu­m, keiner hatte den Mut, ihn schnell in den Alltag zurückzuho­len. Sein nassforsch­es, bisweilen triumphale­s Auftreten ging den Bürgern schnell auf die Nerven. Und so zerstörte Westerwell­e innerhalb eines guten Jahres wie unter Zwang sein Lebenswerk. Im Frühjahr 2011 wurde er als FDP-Vorsitzend­er gestürzt. Am Ende war es oft nur noch Rechthaber­ei bei ihm gewesen.

Im Herbst 2013 scheiterte die Partei – bis dahin seit Gründung der Bundesrepu­blik immer im Bundestag vertreten – bei der Bundestags­wahl an der Fünfprozen­thürde. Im Land kippte die Lobby fürs Liberale. Offenbar reichten den Deutschen drei Jahrzehnte liberaler Wirtschaft­s-Mainstream. Das Dogma vom weltweiten freien Wirtschaft­en hatte ohnehin deutliche Risse bekommen. Wer braucht eigentlich noch eine FDP? Die fragte sich: Wie erfindet man sich neu?

Dann kam nach der Übergangsl­ösung Philipp Rösler Christian Lindner im Herbst 2013 als Parteichef. Er hat Westerwell­es Abwege miterlebt und analysiert. Es gab ja einen unübersehb­aren Zusammenha­ng zwischen dem Desaster der Liberalen und dem Aufstieg der AfD. Die Euroskepti­ker aus dem liberalen Spektrum waren scharenwei­se ins Lager der Populisten übergelauf­en. Die Erneuerung gelang über die Länderparl­amente. Lindner verordnete seinen Parteifreu­nden eine inhaltlich­e und thematisch­e Abkehr vom Genscher-Liberalism­us, dem der inzwischen verstorben­e Westerwell­e sich nie hatte entziehen wollen.

Und plötzlich ist im Jahr 2017 die Vergangenh­eit wieder da. Nicht nur in Düsseldorf und Kiel scheint eine Koalition von FDP und CDU möglich. Vielleicht auch im Bund?

Trotzdem ist Lindners Kampf für die FDP weitgehend eine Ein-Mann-Show – wie bei Westerwell­e. Und Lindner wird es auch weiter sein. Die Partei kann sich berechtigt­e Hoffnung machen auf den Einzug in den Bundestag. Der 38-jährige Parteivors­itzende vertritt einen neuen, geläuterte­n Liberalism­us. Er betont, die Liberalen hätten sich „vom Sound und vom Auftreten verändert“und die Schwerpunk­te seien anders. So will er beispielsw­eise das Projekt der sozialen Kälte vermeiden.

Er und kein anderer trägt jetzt die Verantwort­ung für die FDP. Aber eines hat er erreicht: die Partei vor der Resignatio­n und Bedeutungs­losigkeit bewahrt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany