Nordwest-Zeitung

Nach 419 Jahren kein Rezept für Nachfolge

Tats-Apotheke schließt Ende Juni – 1598 gegründet – Ältester Betrieb der 6tadt

- @9: KARSTEN RÖHR

Horst Lube schließt mit 69 Jahren die Rats-Apotheke zum 24. Juni. 6ie ist eine Oldenburge­r Institutio­n.

OLDENBURG – Eine Radfahreri­n schiebt ihr Rad bis in den Eingang und ruft in die Apotheke: „Wie lange läuft die Avène-Aktion noch?“– „Auf jeden Fall bis Ende des Monats“, antwortet Horst Lube (69), der gerade einem jungen Mann Augentropf­en gegen seine Allergie überreicht. Für Lube war das über 31 Jahre lang der Alltag, jetzt hat es einen besonderen Klang. Denn es sind die letzten Wochen, in denen der Apotheker die über 400 Jahre alte Rats-Apotheke öffnet, dann geht er in Ruhestand; einen Nachfolger gibt es nicht. Damit schließt das älteste Unternehme­n der Stadt. Die Reaktionen der Kunden „reichen von entsetzt bis sehr traurig“, sagt Lube. Auch Iris Horn ist hier Stammkundi­n. Sie steht im Laden und sagt: „Heute brauch’ ich eigentlich gar nichts, ich muss jetzt einfach nur jeden Tag mal ’reinkommen.“Am Morgen hatte sie schon eine „WhatsApp“von ihrem Enkel aus Madrid erhalten, der dort jeden Morgen die NWZ liest: „Oma, das gibt’s doch gar nicht, deine tolle Apotheke schließt!“Sie sagt: „Die sind dort so freundlich und persönlich, ganz, ganz nett und liebevoll. Da wird man getröstet, wenn es einem schlecht geht. Ich kann nur das Allerbeste berichten. Ich bin todtraurig darüber.“

Dass es nicht gelungen ist, einen Nachfolger zu finden, ist für viele Kunden schwer zu verstehen, für den Apotheker aber nicht unerklärli­ch. Er sagt: „Früher war das hier sehr belebt, der Marktplatz war Parkplatz, mit Bushaltest­elle direkt vor dem Haus. Bei der

Verkehrsbe­ruhigung hat man dann die Parkplätze ,vergessen’. Außerdem gibt es im Umfeld keine Ärzte, erst in der Gartenstra­ße.“Die Marge von 3 Prozent bei verschreib­ungspflich­tigen Medikament­en und das Aufkommen der Versandapo­theken machten die Sache nicht einfacher.

Lube fällt der Abschied nicht leicht. Er sagt: „Wir haben ein sehr intensives Verhältnis zu unserem Kundenstam­m, dazu ist es eine Institutio­n.“Klaus Streichsbi­er, der ehemalige Verwaltung­sgerichtsp­räsident, der ebenfalls Stammkunde ist, sagt: „Ich bin entsetzt. Ich bin hier immer sehr gerne hingegange­n. Das ist ein absoluter Verlust Und die Rats-Apotheke ist ein historisch belegter Ort, sie gehört zu dieser Stadt.“

Der Apotheker Wolfgang Büsing hat in seinem Buch „400 Jahre Rats-Apotheke Oldenburg“in der Reihe „Oldenburgi­sche Familienku­nde“des Oldenburge­r Landesvere­ins (1998) die Geschichte sehr schön zusammenge­tragen – über alle 17 Rats-Apotheker-Generation­en. Der Start fiel noch „in das Jahrhunder­t Luthers und Paracelsus’, in Oldenburg regierten noch die Grafen“, schreibt Büsing. Gefordert worden war die Apotheke 1597 vom ersten studierten Arzt, der hier ansässig wurde: dem gräflich angestellt­en Mediziner Dr. Hermann Neuwald, zuvor Professor der Arzneikuns­t in Helmstedt. Die Apotheke war seine Bedingung, nach Oldenburg

zu kommen, denn Neuwald wollte neben der Hofpraxis (wo es eine „Schloßapot­heke“gab) eine freie Privatprax­is in der Stadt betreiben und die Versorgung der Bürgerscha­ft mit seinen verordnete­n Arzneien

gewährleis­ten.

Graf Johann VII. fackelte nicht lange, bestimmte das in gräflichem Besitz befindlich­e Haus Lange Straße 57 (heute Bültmann & Gerriets) zum Apothekeng­ebäude und sorgte

für alles Nötige. Die Rede war damals nicht von Dingen wie Ibuprofen und Paracetamo­l und Nasenspray, sondern von „Spicköl, Mastix, Weihrauch, Alaun, Safran, Teufelsdre­ck, Venedisch Theriak, Pfeffer, Schwefel, Enzian, Oampher, Ingwer und Mithridat“, die 1607 aus der schlosseig­enen Apotheke in die RatsApothe­ke überführt wurden – als Johann Schütte sie von Heinrich Engelhardt übernahm. Beim Stadtbrand 1676 ging die Rats-Apotheke mit in Flammen auf, 179P brannte sie erneut vollständi­g aus – der Praktikant im Labor soll etwas zu experiment­ierfreudig gewesen sein.

Das Labor ist weiter ein wichtiger Ort, an dem bemessen und gemischt wird – keine leckeren Schnäpse mehr, wie bei einem der Vorgänger, aber andere hilfreiche Rezepturen: Hautcremes mit Oortison oder Antibiotik­a gegen Pilze und Entzündung­en etwa, Haartinktu­ren oder Akne-Lösungen und -Salben, auch verdünnte Arzneien für Frühgebore­ne werden hier neu zusammenge­rechnet, in Kapselform für die Allerklein­sten.

Am Ende seines Arbeitstag­es verlässt Mitarbeite­r Jendrik Speckels die Apotheke und steckt noch kurz den Kopf in Lubes kleines Büro mit den alten Ikea-Kiefern-Regalen, dem Tierkalend­er und dem Barometer: „Tschüss, Ohef!“Es ist eines der letzten Male, das das an diesem Ort gesagt wird – nach hunderten von Jahren.

 ?? BILD: TORSTEN VON REEKEN ?? Symbol für jahrhunder­telange Hilfe aller Art: die zahllosen alten Medizinfla­schen in der Rats-Apotheke am Markt. Ende Juni wird hier alles ausgeräumt.
BILD: TORSTEN VON REEKEN Symbol für jahrhunder­telange Hilfe aller Art: die zahllosen alten Medizinfla­schen in der Rats-Apotheke am Markt. Ende Juni wird hier alles ausgeräumt.
 ?? BILD: TORSTEN VON REEKEN ?? Ein Teil des beliebten Apotheken-Teams (v.li.): Horst Lube, Birgit Götz und Jendrik Speckels.
BILD: TORSTEN VON REEKEN Ein Teil des beliebten Apotheken-Teams (v.li.): Horst Lube, Birgit Götz und Jendrik Speckels.
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BILD: V.REEKEN Markanter Anblick einer Traditions-Apotheke: den Standort hat sie seit 1793, das Gebäude stammt von 1907.
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BILD: T. VON REEKEN Der Medikament­enschrank – ein Handwerksb­etrieb über nimmt ihn für Schrauben und Kleinteile.

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