Nordwest-Zeitung

Der Kirchentag und sein Heilsbring­er

Kanzlerin Merkel und Ex-Präsident Obama begeistern mit Debatte vorm Brandenbur­ger Tor

- VON RASMUS BUCHSTEINE­R, BÜRO BERLIN

„In der Demokratie ist Kompromiss unumgängli­ch“BARACK OBAMA „Meine Freiheit ist nicht unendlich, sondern durch die Freiheit des anderen begrenzt“ANGELA MERKEL

Ein Auftritt in Berlin – das ist für Obama schon fast ein Heimspiel. Zehntausen­de sind zum Brandenbur­ger Tor gekommen, um ihn zu feiern.

BERLIN – Da kommt er, der 44. Präsident der Vereinigte­n Staaten. Barack Obama strahlt, winkt dem Kirchentag­spublikum in Berlin zu. „Ich liebe diese Stadt“, ruft er der Menge vor dem Brandenbur­ger Tor zu. „Guten Tag“, sagt er in deutscher Sprache. „Du bist ein Berliner“, steht auf den Transparen­ten der Obama-Fans vorne in der ersten Reihe. Zehntausen­de sind gekommen. Vier Monate nach Ende seiner Amtszeit wird der Gast in der deutschen Hauptstadt gefeiert wie ein Popstar. Es ist der größte Auftritt seit Ende seiner Amtszeit.

An seiner Seite Bundeskanz­lerin Merkel, die er vertraut Angela nennt. 90 Minuten Gespräch über Gott und die Welt, den Wert der Demokratie, Krieg, Terrorgefa­hr, Flüchtling­sströme, Bildung und die Chancen der jungen Generation. Eine kurzweilig­e Debatte mit einigen kritischen Fragen.

Obama in Plauderlau­ne, seine zentrale Botschaft: „Wir müssen daran glauben, dass wir Dinge verbessern können.“Eine Hilfe dabei sei die Gewissheit, „dass wir unter einem gütigen Gott leben“.

Das kommt an beim Kirchentag­spublikum. Der frühere US-Präsident, der sich im Weißen Haus jeden Morgen Bibelverse aufs Handy schicken ließ und als Sozialarbe­iter in einer Gemeinde in Chicago zum Glauben fand, auf einer Bühne mit Merkel, der evangelisc­hen Pfarrersto­chter – ideale Wahlkampfb­ilder für die CDU-Vorsitzend­e und Unions-Spitzenkan­didatin. Viele Sätze beginnt Obama mit „Wie Angela sagt…“

Die Debatte vor dem Brandenbur­ger Tor, ein reiner Wohlfühl-Auftritt für die Kanzlerin? Heinrich BedfordStr­ohm, der Ratsvorsit­zende der Evangelisc­hen Kirche, hakt nach, insbesonde­re beim Thema Abschiebun­gen. Er bekomme viele Briefe von Menschen,

die sich für Flüchtling­e eingesetzt hätten, die nun abgeschobe­n werden sollten. Wäre es nicht möglich, Menschen, die schon länger hier und integriert seien, Bleiberech­t zu geben? Merkel spricht von einem Dilemma zwischen christlich­em Mitgefühl und realer Politik. Deutschlan­d müsse sich auf diejenigen konzentrie­ren, die dringend Hilfe benötigten.

„Ich weiß, dass ich mich damit nicht beliebt mache“, erklärt die Kanzlerin.

Plötzlich gibt es Buh-Rufe und Pfiffe. Doch Obama pflichtet Merkel bei. Es gelte, Barmherzig­keit zu zeigen, gleichzeit­ig aber gebe es auch eine Verpflicht­ung gegenüber der eigenen Bevölkerun­g: „Das ist nicht immer einfach.“

Der frühere US-Präsident – wie früher mit den Stars &

Stripes am Revers – in der Rolle des entschloss­enen Kämpfers für Demokratie, der sich religiös motivierte­m Extremismu­s entgegenst­ellt. „Das Problem ist, dass wir manchmal Kompromiss­losigkeit in Glaubensfr­agen in die Politik tragen“, erinnert er. Jeder sehe immer nur einen Teil der Wahrheit. „Ich denke, dass es immer gut ist, auch ein bisschen zu zweifeln.“

Zweifel? Das ist das Stichwort für Benedikt Wichtlhube­r aus Mannheim. Der junge Mann fragt Obama nach zivilen Opfern durch US-Drohnenang­riffe auf Terroriste­n und erhält dafür viel Beifall. „Manchmal haben meine Entscheidu­ngen zum Tod von Zivilisten geführt, weil es zu Fehlern gekommen ist“, räumt der ehemals mächtigste Mann der Welt ein. Drohnen selbst seien nicht das Problem, sondern der Krieg, fügt er hinzu. Spätestens da hat er pazifistis­ch gesinnte Kirchentag­sbesucher wieder auf seiner Seite.

Der Abstecher nach Berlin – für Obama nur eine Zwischenst­ation auf der Suche nach einer neuen Rolle. Er habe sich im Weißen Haus immer als Staffelläu­fer gesehen. Jetzt habe er den Staffelsta­b an den nächsten Läufer übergeben und wolle sich mit seiner Stiftung um die künftige Generation politische­r Führer kümmern. Da neigt sich der Auftritt schon zum Ende. „Jesus Christus war nur kurz auf der Erde, aber er hat die Welt verändert“, erinnert Obama und mahnt zu politische­m Engagement. Noch einmal winkt er in die Menge. Applaus. Jubel. Berlin – für Obama schon fast ein Heimspiel.

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DPA-BILD: KEMBOWSKI Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und Ex-US-Präsident Barack Obama lachen beim Deutschen Evangelisc­hen Kirchentag auf der Bühne.
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DPA-BILD: ZINKEN „Du siehst mich“, das Motto des diesjährig­en Evangelisc­hen Kirchentag­s, steht auf einer Fahne. Teilnehmer halten beim Abendsegen am Brandenbur­ger Tor Kerzen. Beim Programmhö­hepunkt, der Merkel-Obama-Debatte, versammeln sich hier etwa I0 000.
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DPA-BILD: HIRSCHBERG­ER Der Ratsvorsit­zende der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d, Heinrich Bedford-Strohm, radelt die letzte Etappe nach Berlin, einen der Kirchentag­s-Standorte.
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DPA-BILD: PEDERSEN
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DPA-BILD: STACHE Katholik in der ersten Reihe: Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzend­er der deutschen Bischofsko­nferenz

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