Nordwest-Zeitung

„Kühl analysiere­n – statt schärfere Gesetze“

Niedersach­sens Innenminis­ter Pistorius warnt angesichts des neuerliche­n Terroransc­hlags vor Angstmache­rei

- VON TOBIA; ;CHMIDT, BÜRO BERLIN

FRAGE: -i$ $euer Terrora$schlag hat Lo$do$ erschütter­t( trotz massivster Sicherheit­svorkehru$ge$+ -i$e .ar$u$g( dass -/tremiste$ auch i$ Deutschla$d 0ederzeit 1ieder zuschlage$ kö$$te$2 PISTORIUS: Ja, das muss uns klar sein. Dieser Anschlag ist dabei aber eher eine weitere böse Erinnerung als eine Warnung. Er zeigt, dass wir es nicht immer schaffen werden, zu allem bereite Terroriste­n vom schlimmste­n abzuhalten. Selbst in einem hochgerüst­eten London mit Kameras, Straßenspe­rren und Polizei an jeder Ecke. Wenn diese feigen Mörder aufgeladen sind mit ihrer Ideologie, sind sie kaum zu stoppen. Wir müssen deshalb noch sehr viel mehr darin investiere­n, dass es nicht soweit kommt. Und hier muss die freie, demokratis­che Welt enger zusammenrü­cken anstatt in Nationalst­aaterei zu verfallen. FRAGE: .ie soll das ko$kret erreicht 1erde$2 PISTORIUS: Radikalisi­erung verläuft heute viel über das Internet und ist damit internatio­nal. Ich fordere einen stärkeren Austausch über Antiradika­lisierungs­projekte auf europäisch­er und internatio­naler Ebene und eine abgestimmt­e Definition von Gefährdern. Unsere Haltung muss von Stärke, Zusammenha­lt und auch einer Portion Trotz geprägt sein – indem wir erst recht so weiterlebe­n, wie wir es wollen! FRAGE: 3esetzlich­e$ 4a$dlu$gs&edarfsehe$Sie$icht2 PISTORIUS: Wer – wie viele in der Union – den Eindruck erweckt, man müsse nur Gesetze verschärfe­n, bestimmte Gruppen ausgrenzen und Grenzen schließen, um Sicherheit zu gewährleis­ten, führt die Menschen in die Irre. Die CDU stellt im Bund seit zwölf Jahren den Innenminis­ter. Ich frage mich langsam, wann sie anfangen, all diese Gesetze nicht nur zu fordern, sondern auch anzuwenden. Wir müssen vernünftig bleiben und in diesem wichtigen Thema Entschloss­enheit demonstrie­ren und uns kühl und analytisch verhalten. Im Wahlkampf Ängste zu schüren, so wie zuletzt die CDU sehr offensiv in NRW, liefert jedenfalls keine Antworten auf die wichtigen Fragen in diesem Bereich. FRAGE: .o muss aus Sicht der SPD &ei der I$$ere$ Sicherheit $achgelegt 1erde$2 PISTORIUS: Wir müssen beispielsw­eise die Prävention verbessern, damit sich weniger junge Leute radikalisi­eren, die zum Teil hier geboren sind. Da sind wir alle gefragt, Politik, aber auch die Schulen, Vereine und das persönlich­e Umfeld. Wir müssen außerdem die Polizei stärken und die Zusammenar­beit auf europäisch­er Ebene verbessern, etwa durch eine Art europäisch­es FBI bei Europol. FRAGE: 5ür ei$ europ6isch­es 57I müsste$ die 8itgliedst­aate$ ihre I$formatio$e$ teile$ – 1ogege$ sie sich e$ergisch 1ehre$+ Ist ihr 9orsto: $icht ei$e )e&elkerze2 PISTORIUS: Der Plan ist ambitionie­rt, aber alternativ­los. Der gegenwärti­ge Zustand ist untragbar. Im Europäisch­en Anti-Terror-Zentrum bei Europol macht nur eine Handvoll Länder mit! Die anderen Mitgliedst­aaten bleiben lieber auf ihren eigenen Informatio­nen hocken. So können wir Kriminalit­ät und Terror im Schengen-Raum bereits jetzt und auch zukünftig nicht effektiv bekämpfen. Kriminelle­n sind die Grenzen herzlich egal, das ist bei moderneren Deliktsfor­men im Cyberraum oder auch bei reisenden Einbrecher­banden erst recht so. Das FBI ist aus der Erkenntnis geboren worden, dass gegen bestimmte Formen schwerer Kriminalit­ät nicht von den US-Staaten alleine effektiv

vorgegange­n werden kann. So ist es auch im SchengenRa­um, weil es an den Binnengren­zen keine Kontrollen gibt. FRAGE: )ach dem ;$schlag i$ Ka&ul 1erde$ die ;&schie&u$ge$ $ach ;fgha$ista$ gestoppt+ -i$ richtiges Sig$al2 PISTORIUS: Die Reaktion auf den jüngsten Anschlag in Kabul vor der deutschen Botschaft ist politisch naheliegen­d, aber nicht ganz ehrlich. Viele Bundesländ­er waren schon vorher sehr zurückhalt­end. Niedersach­sen hat in den vergangene­n Jahren sehr, sehr wenige Afghanen abgeschobe­n, und das waren entweder Straftäter oder DublinFäll­e, bei denen wir als Land keine Wahl haben. Ein formaler Abschiebes­topp wäre jetzt das völlig falsche Signal. Denn es würde der Eindruck erweckt, dass jeder Afghane, der nach Deutschlan­d kommt, zukünftig bleiben kann. FRAGE: .ie geht es 0etzt 1eiter2 PISTORIUS: Die Beurteilun­gen der Sicherheit­slage im Land und seinen einzelnen Regionen müssen laufend aktualisie­rt werden, nicht auf Zuruf. Nur dann kann man den Einzelfäll­en gerecht werden. FRAGE: Ist es $icht i$huma$ u$d u$si$$ig( &este$s i$tegrierte 5amilie$ auszu1eise$2 PISTORIUS: Die Praxis ist nicht stimmig. Wir haben noch immer keine Möglichkei­t dafür geschaffen, dass Menschen, die nicht als Flüchtling­e anerkannt sind, sich aber sehr schnell sehr gut integriert haben, hierbleibe­n können. Es gibt keine Chance, etwa einen Zuwanderun­gsantrag zu stellen, wenn man als Asylbewerb­er abgelehnt worden ist.

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