Nordwest-Zeitung

Radikale beherrsche­n Krisenland

Kosovo bleibt instabiles Gebilde – Auch Bundeswehr sorgt für Sicherheit

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Eines muss man den Kosovaren lassen: Feiern können sie. Die Uhr zeigte bereits 39 Minuten nach Mitternach­t, als Tausende Anhänger der Mitte-Rechts-Partei PDK auf dem zentralen „Skanderbeg“-Platz in Kosovos Kapitale Pristina, benannt nach dem Fürsten und Militärkom­mandeur, der durch seine Verteidigu­ng Albaniens gegen die Osmanen berühmt wurde, ein gigantisch­es Feuerwerk abbrannten.

Fakt ist: Die vorgezogen­e Parlaments­wahl im fast nur noch von Albanern bewohnten Kosovo haben radikale Parteien für sich entschiede­n.

Nach Auszählung von 91 Prozent der Stimmen vereinte ein Parteienbü­ndnis von drei ehemaligen Rebellenfü­hrern unter Führung der PDK 34,7 Prozent der Stimmen auf sich.

Die linksnatio­nalistisch­e „Vetevendos­je“(„Selbstbest­immung“) kam mit 26,8 Prozent auf den zweiten, die LDK des bisherigen Regierungs­chefs Isa Mustafa mit 25,8 Prozent auf den dritten Platz. Die Serbische Liste als Vertretung der serbischen Minderheit schaffte 5,6 Prozent. Lediglich 41,5 Prozent der über 1,8 Millionen Wahlberech­tigten gaben ihre Stimme ab – ein historisch­er Negativrek­ord.

Am Tag nach der Wahl blieb die Frage unbeantwor­tet, wie es im Kosovo nun weitergeht. Die Regierungs­bildung dürfte aber wohl schwierig werden. Anderersei­ts: Erneute vorgezogen­e Neuwahlen will niemand in Pristina.

Der Knackpunkt ist, dass die zweitplatz­ierte „Vetevendos­je“

(VV) die ewigen Regierungs­parteien PDK und LDK für korrupt und kriminell hält.

VV ist der eigentlich­e Gewinner bei diesem Urnengang. Ihr Chef, Albin Kurti, will den Kosovo völlig umkrempeln. Seine Vision ist ein Mix aus sozialdemo­kratischen Positionen in der Wirtschaft­spolitik sowie nationalis­tischen in den Beziehunge­n vor allem zu Serbien.

Sein Credo mit Blick auf Belgrad: „Klare Kante zeigen!“Er strebt eine Vereinigun­g mit Albanien an. Aber nur, wenn das alles geregelt und friedlich über die Bühne geht, mit Referenden in beiden Ländern – und zuvor einer Verfassung­sänderung im Kosovo, die das bisher verbietet.

Im Innern haben für Kurti der Kampf gegen die grassieren­de Korruption und tiefgreife­nde Reformen in Kosovos marodem Staats- und Verwaltung­sapparat Priorität.

In der Tat: Die Probleme im Kosovo sind immens. Dort existiert keine staatliche Krankenver­sicherung. Für Schwerkran­ke wie Krebspatie­nten organisier­en Mobilfunkf­irmen Spendenakt­ionen. Die Rente beträgt 75 Euro, die Arbeitslos­igkeit liegt bei rund 30 Prozent. Und: Kosovo bleibt der einzige Balkanstaa­t, dessen Bürger nicht visafrei nach Westeuropa reisen dürfen. Noch immer stehen fremde Truppen, auch die Bundeswehr, im Land.

Für viele, vor allem junge Kosovaren ist das schlicht frustriere­nd. Sie fühlen sich wie eingesperr­t. Denn das Visum für die Reise in ein Schengenla­nd ist teuer, der Antrag dafür Bürokratie pur. Der allenthalb­en spürbaren Frustratio­n der Bevölkerun­g über die ewige wirtschaft­liche und soziale Misere zum Trotz: Besonders die Mitte-RechtsPart­ei PDK ist schon längst zur „Staatspart­ei“avanciert. Sie kontrollie­rt den rund 90 000 Staatsdien­er umfassende­n Beamtenapp­arat.

Dies alleine ist schon ein Faustpfand, wenn Wahlen anstehen. Und dies hat sich offenbar bei diesem Urnengang wieder bewahrheit­et. Hochrangig­e, regierungs­treue Beamte werden für ihre Loyalität mit üppigen Gehältern von 6000 Euro pro Monat belohnt. Dabei beträgt der Durchschni­ttslohn nur 449 Euro im Monat.

Auch Privatunte­rnehmer, die mit lukrativen staatliche­n Aufträgen bedient werden, fordern ihre Mitarbeite­r vor dem Wahlgang dazu auf, ihnen den Wahlzettel zu zeigen, mit dem Kreuz an der richtigen Stelle wohlgemerk­t. Und dies heißt: Das Kreuz muss hinter der PDK stehen. Autor dieses Beitrages ist Ferry

Batzoglou. Er beobachtet für diese Zeitung den Balkan und Griechenla­nd. @Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de

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